Die Musiktheorie Hermanns von Altshausen

von Wolfram Benz

in: 

"Hermann der Lahme", 
Graf von Altshausen

Kunstverlag Josef Fink, 
Lindenberg, 1996

 
Tonbeispiel: Kyrie (Gregorianik)
     
Wie die meisten der mittelalterlichen Musiktheoretiker geht Hermann (1013 - 1054) bei der Aufstellung der Tonskala vom Monochord aus. Das ist eine über einen kastenförmigen Resonanzkörper gespannte Saite, die vor allem bei den Griechen (Pythagoras) in der Antike und bei Boetius (um 500 in Rom) schon eine wichtige Rolle gespielt hat. An ihr läßt sich das Phänomen demonstrieren, daß eine Halbierung der Saite eine Verdoppelung der Frequenz zur Folge hat, die sich als Oktave des Grundtons qualitativ hören läßt. Wenn z.B. die ganze Saite mit dem Ton A klingt, dann ertönt die Hälfte mit dem oktavierten a. Wird diese Saitenlänge wiederum halbiert, so erklingt das restliche Stück als D, die Quarte zu A (= 3/4 der Gesamtsaite). Diese Quarte war als Tetrachord - mit vier Tönen, dabei zwei Ganz- und einem Halbtonschritt - bei den Griechen Ausgangspunkt ihrer Musiktheorie, die wiederum eng mit den Planetenbahnen in Verbindung gebracht wurde.
 
Das Monochord und die Saitenteilung
für Oktave und Quinte
 
Alle weiteren möglichen Teilungen unterläßt Hermann, um sein nun zwei Oktaven umfassendes System abzuleiten: zwei mal sieben Töne wie die Zahl derWochentage und wie die Zahl der damals bekannten Planeten mit Sonne und Mond. Sein Abt Berno von Reichenau, der sich vor Hermann ebenfalls mit Musiktheorie beschäftigt hatte, war dabei von der absteigenden Form der Tonleiter ausgegangen. Hermann war in diesem Sinne moderner, denn sein System ging stets von der aufsteigenden Skala aus, die er dazu statt der griechischen Tonnamen mit den deutschen Groß-, die oktavierten Töne mit Kleinbuchstaben bezeichnete. - Das B gilt hier immer als H im heutigen Sinn.

 
Nachdem allerdings Odo von Saint-Maur und Guido von Arezzo diese Benennung durch Buchstaben schon vor ihm 50 bzw. 25 Jahre ebenfalls vorgenommen hatten, kann Hermann kaum als Erfinder gelten, obwohl fast auszuschließen ist, daß er davon gewußt haben konnte. Seine Tonskala umfaßt 15 Töne, einerseits modern gegliedert in zwei Oktavräume, andererseits verhaftet in einer Tetrachordeineilung, wie sie in der der Antike üblich war.
Diese schematische Einteilung in Tetrachorde schwerte Hermann die weitere Interpretation in Richtung auf unsere heutige Auffassung von Konsonanzen und Tonarten. Seine großen Mitdenker in der Musiktheorie, Odo und Guido, hatten diese Tetrachordlehre aufgegeben und sich auf die Tonqualitäten und Konsonanzen innerhalb der Oktaven und darüberhinaus beschäftigt.
Bei seiner Notenschrift fällt auf, daß er bei den Intervallen nicht über die große Sext hinausgeht. Der Unterschied zwischen tiefstem und höchstem Ton einer Melodie (Ambitus) darf dazu die Oktave nur um einen Ton überschreiten.
Hermann bleibt auch in der Gewichtung des Grundtones bei der frühen mittelalterlichen Auffassung, die diesen ohne Bedeutung läßt. Er gebraucht den Begriff auch nicht. Immer stärker aber begann sich in der Praxis damals der Bezug zum Grundton durchzusetzen, die bei Guido auch Aufnahme in seine Theorie fand, bei Hermann aber unberücksichtigt blieb.

Bei der Bestimmung der Tonart brauchte er seinen Tetrachorden lediglich zu beiden Seiten einen Ganzton anzufügen, um das damals "moderne" Hexachord zu erhalten, eine Reihe von sechs Tonstufen, die in der Mitte der beiden Ganztonstufen den Halbton eingeschlossen haben. Wiederum ist ihm dabei Guido zeitlich voraus. Es ist anzunehmen, daß beide bei der Hexachordlehre aus derselben Quelle schöpften. Wie dieser hatten allerdings die Töne im Hexachord untereinander relativen Bezug unabhängig von der Höhe des Ausgangstones, was theoretisch schwer in seinem schematischen Tonsystem zu erklären ist. Schließlich folgte er in seiner Tonartenzuordnung den anderen mittelalterlichen Theoretikern. Die bekannten 8 Kirchentonarten sind hier aufgeführt mit den heute gebrauchten Bezeichnungen und Hermanns persönlicher Charakterisierung:

 Die 8 Kirchentonarten

hypodorisch - "süß, lieblich"= äolisch (wurde zu Moll) 

hypophrygisch - "besonnen, schwer- mütig, ernst" 

hypolydisch - "klagend"= ionisch  (wurde zu Dur) 

hypomixolydisch - "liebens- würdig, freudigbewegt" 

dorisch - "gewichtig  und edel" 

phrygisch - "hitzig  und sprunghaft" 

lydisch - "süßtönend, 
ergötzlich" 

mixolydisch -  "geschwätzig" 

 
Diese theoretischen Erläuterungen haben bei Hermann das Ziel, vor allem den Sängern das Rüstzeug in die Hand zu geben, um besser singen zu können. Er vergleicht dabei den nicht erfahrenen Sänger, der sich nur auf sein Gehör verläßt, mit der Nachtigall zur Frühlingszeit, die dann noch unbeholfen singe.

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