Gründung der Musikkapellen 

Die Städte blieben zunächst in ihrer Tradition mit ihren städtisch reglementierten Musikanten und denen der Schützenvereine.  Doch hatten sich  in den größeren Kommunen schon  im 16., mehr noch im Laufe des 17. Jahrhunderts  Musikgesellschaften oder Musikkollegien gebildet wie in Memmingen 1655. Sie standen außerhalb der Kirche als freiere Korporationen, die halböffentlichen Charakter erhielten und  bei offiziellen Anlässen und Empfängen engagiert wurden. Sie sind aber durchaus mit einer Zunft zu vergleichen. Zur regelmäßigen Zusammenkunft eines Musikkollegiums gehörte ein gemeinsames Mahl oder ein Trinkgelage, bei dem auch politisiert wurde. 

Auf dem Lande waren um 1800 die wenigen Musikanten noch Kirchenbedienstete, die nebenher als Dorf- und Tanzmusiker - oft zum Ärgernis der Geistlichkeit - mit den Kircheninstrumenten aufspielten. 

   "Veteranentanz in einem Dorfe" (Ausschnitt) 
           Gemälde von Baptist Pflug, 1848 -
       Der stehende Geiger ist wohl selbst ein
     Veteran aus den Napoleonischen Kriegen 
Die technische Revolution der Musikinstrumente, die Klappen bei den Holzbläsern, vor allem aber die um 1820 beginnende Entwicklung der Ventile bei den Blechbläsern, war sicher ebenfalls ein Grund, dass auch einfache Bauern auf dem Lande sich an diese ursprünglich sehr schwer zu spielenden Instrumente wagten. Diese Laien waren es zunächst, die sehr schnell auf die modernen Ventilinstrumente zugriffen, während viele Berufsmusiker den neuen Instrumenten gegenüber sehr kritisch gegenüber standen1. Daneben waren die Musikanten der Klöster und Adelsherrschaften durch den Wegfall ihrer früheren Arbeitgeber nach 1806 vielfach ohne Aufgaben und standen daher zur Verfügung. 

Die Bedeutung der Landwehrmusiken im Bereich des Militärs als Anregung zum Musizieren in eigenen Gruppen sei noch einmal erwähnt. So gab es verschiedene Faktoren, die zur Gründung der Musikkapellen beitragen konnten.  

Ein wesentlicher Antrieb zur Gründung weltlicher Vereine kam aus dem gesellschaftlichen Umschwung über die Französische Revolution mit den Grundsätzen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Mit diesen Idealen fielen die alten Schranken der sozialen Schichtung von oben nach unten, von Adel, Kirche, Patriziern der Städte, Handwerkern, Bauern, Knechten, Mägden, Taglöhnern und Bettlern. Die Zunft- und Gewerbebindungen lösten sich auf. Mit dem Ziel einer gleichen Bildung für alle entstanden viele bürgerliche Kulturvereine über die vorher trennenden Schranken hinweg. In den Chören und Musikkapellen verband die Bürger das neue, demokratische Gefühl einer ständelosen, kleineren Gemeinschaft2 in einem größeren Staatswesen noch mit Kaiser und Königen, das erst im Begriffe war, sich in diese Demokratie zu bewegen. Vereine bildeten sozusagen eine Schule der Demokratie, weshalb sie auch für viele reaktionäre Politiker verdächtig waren und immer wieder auch bis in die 30er Jahre des 19. Jh. verboten wurden. 

Die Menschen auf dem Lande emanzipierten sich in diesem Sinne ebenfalls von den direkten Bindungen der Kirche und des Adels, der noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts von beträchtlichem Einfluss blieb, und strebten gerne das städtische, bürgerliche Ideal an. An der Musik- und Tanzkultur kann das eingehend aufgezeigt werden. 

Die Frage ist schwer eindeutig zu beantworten, wann das Gründungsdatum einer Kapelle anzunehmen ist. Musikanten werden in Kirchenbüchern schon früh geführt. In Isny finden sich in Kostenzettel von Ausbesserungen an einer Trompete, "Heerpauken und zwei Waldhörner" mussten repariert werden, Oboenblätter wurden gebraucht und es wurde geklagt, dass "die Mäuse die Saiten abfressen". Die Musikanten erhielten zunächst drei Gulden und Wein für ihre Dienste. Später (1730) wurde ein weiterer Gulden ausbezahlt. Bis 1800 blieb das Amt des "Musikdirektors" bei einem Geistlichen.  Erst 1843 wurden Statuten ausgearbeitet.3

In Amtzell sind erste Hinweise (1746 und 1765) auf Entschädigungen der Musikanten zu finden, die in Naturalien, Kalbfleisch, Wein, Bier und Mehl erfolgten.4 Ob die 20 Musiker aber eine selbständige Gruppe gebildet hatten, bleibt zweifelhaft. Die Jahresabrechnung von 1779  der Stecherschen Stiftung wurde als das Gründungsjahr der Musikkapelle Eisenharz angenommen, bei der von einer "Besoldung der Musiker" die Rede ist. Die Gestratzer Musikkapelle führt ihr Alter ebenfalls auf einen Hinweis 1762 in den Kirchenakten zurück.5 1790 gründete "laut einer Eintragung im Stammbuch der Familie Obermayer, der aus Oberbayern zugewanderte Sohn Anton und einer Anzahl musikbegeisterter Bergatreuter Bürgerinnen und Bürger die Musikgesellschaft Bergatreute. Bemerkenswert ist dabei, daß sich unter den 12 Gründungsmitgliedern bereits drei Frauen befanden, die aktiv  in der Kapelle Harfe und Violine spielten."6 1803 gründete der Büchsenmacher und Musiker Augustin Knopf in Wangen eine "Privatkapelle zur Ausübung der weltlichen Blechmusik. In steigendem Maße wurde die Knopf'sche Kapelle von der Stadt bei ihren Veranstaltungen eingesetzt und finanziell großzügig unterstützt. ... Es wurde bald eine 'Bürgerliche Musikgesellschaft' gegründet ..."7 1811 ist in Ratzenried ebenfalls eine Musikgesellschaft erwähnt, dort bestehend aus Chor und Orchester.8 So stellen diese Musikgesellschaften oder Musikkollegien eine gewisse Übergangsform auch auf dem Lande zu einem eigenständigen Verein dar. 

Scheller schreibt 1976 über die Gründung der Ellhofer Kapelle: "... vor 200 Jahren waren die Ellhofer Passionsspiele in weitem Umkreis bekannt. Wo aber derartige Spiele stattfanden, da mußte auch die Musik eine Pflegestätte gefunden haben, denn ohne Musik und Gesang waren solche Spiele nicht zu denken. ..." Leider beginne die Chronik erst 1850.Er weist aber mit Recht auf den Zusammenhang von Theater und Musik hin, die einen besonderen Höhepunkt in der Barockzeit mit dem geistlichen Theaterspiel gehabt hatten, was sicher für die weitere Musikentwicklung ebenfalls von Bedeutung war.

Es halten sich aber doch die meisten Kapellen bei der Altersbestimmung eher an die Protokollbücher und die Dokumentation einer Satzung als Verein, der sich eigentlich als emanzipierte, eigenständige Gruppierung erst im 19. Jahrhundert  bilden konnte. Auch in Eglofs gibt es in den Kirchenakten Einträge zu den Musikanten schon im 18. Jahrhundert. Aber erst mit den Statuten zu einem eigenständigen Verein 1842 beginnt  hier die Vereinsgeschichte

Eine besondere Bedeutung bei der Gründung, Leitung und Ausbildung der Musikanten hatte dabei nicht nur in Eglofs der Lehrer (vgl. Botzenhard). Mit seiner Anstellung in einer Schule war damals der Dienst als Leiter des Kirchenchores und als Organist verbunden. Das Violinspiel gehörte zur direkten Lehrerausbildung. Zwar galt die geistliche Schulaufsicht noch bis nach dem 1. Weltkrieg, doch taten sich diese "Schulmeister" vielfach als Initiatoren von Musikkapellen hervor, die eine Loslösung vom kirchlichen Einfluss bedeuteten. Der Vorwurf von reaktionären Politikern an die Lehrer wurde nach der fast gescheiterten Revolution 1848/49 hörbar, denn sie hätten durch ihre aufklärerische, kirchenfeindliche Tendenz die Unruhe mit verursacht. Deshalb sollte sogar die Lehrerausbildung  reduziert  werden.10

Knill geht in seiner Diplomarbeit ausführlich auf die Problematik dieser Vereinsgründung ein bei der Beschreibung der Roggenzeller Musikkapelle, die angeblich 1828 vom Gebrazhofer Original Munding gegründet worden sein soll. Aber auch hier war die Kapellengründung nur eine Neuformierung einer schon bestehenden Kirchenmusikgruppe.

Sicher ist allerdings, dass viele Musikkapellen Ende des 19. Jahrhunderts und manche auch erst nach dem 2. Weltkrieg gegründet wurden. Der große Kreisverband Ravensburg, der sich innerhalb des Blasmusikverbands Baden-Württemberg 1977 durch die Kreisreform (1973) neu formierte, umfasst heute über 100 Kapellen. 

Quellen
1: Ahrens, Christian: Eine Erfindung und ihre Folgen. Blechblasinstrumente mit Ventilen, Bärenreiter 1986
2: Knill
- 3 Stützle Margret: - 4 Schwäbische Zeitung 29.5.2002 - 5 220 Jahre Musikkapelle Gestratz, Festschrift 1981 - 6 200 Jahre Musikkapelle Bergatreute, Festschrift 1990 - 7 Walcher, Karl: Alt-Wangener Erinnerungen, Wangen 1985 - 8 Büchele,  9 Westallgäuer Heimatbeilage Mai/Juni 1976 - 10 Reble, Albert: Geschichte der Pädagogik, Stuttgart, 1959, S. 251
Abb. 1: Kunst aus in für Oberschwaben, Ravensburg 1998, S. 71

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