Von der Entwicklung des Tanzes

Getanzt und gesungen wurde sicher immer, seit es Menschen gibt. Zeugnisse davon gibt es bei allen Völkern und vielen historischen Belegen. Auch in Europa spielte sich Tanzen vor allem im bäuerlichen Leben im jahreszeitlichen Rhythmus ab, wie er das Leben auch von der Wiege bis zu den Totentänzen begleitete, aber ebenfalls bei magischen Riten eine wichtige Bedeutung hatte. Fastnachtstänze gehen weit in diesen Bereich zurück. 

Im 15. Jahrhundert trennten sich infolge der sozialen Umschichtung stärker Volks- und Gesellschaftstanz, den schließlich der Adel im Absolutismus bis in die feinsten Vorschriften reglementierte. Auch bei den selbstbewussten Städtern wurde das Instrumentarium umfangreicher. Stadtregierung und Zünfte regelten zum Teil sehr streng das Tanz- und Musikleben innerhalb ihrer Stadtmauern. 


 
Tanz auf dem Lande zum 
Frühlingsanfang mit Maibaum und Dudelsackspieler

Bild von J.M. Weckherlin (1579-1631)
(Ausschnitt)
Über die Musikkultur auf dem Lande, speziell die Kenntnis von Melodien und Tanzformen aus dem Mittelalter und auch noch bis ins 18. Jh. ist recht wenig bekannt. Zum Tanz wurde vielfach nur gesungen. Man schritt und hüpfte dazu in einem Kreis oft noch um die Linde, wie wir das in den Kinderreigen bis heute erhalten haben. Ein besonderer Allgäuer "Roien" wurde überraschenderweise noch um die Jahrhundertwende in der Gegend um Isny aufgezeichnet und ist damit ein Beispiel dieses Reigentanzes, der die Zeit vor 1500 bestimmte. Durchreisende Spielleute brachten neben den gerade aktuellen Neuigkeiten über die Lieder ihre neuen Instrumente mit und spielten zum Tanze auf. Das Paartanzen kam auf. Auf dem Bild von 1650 unten sind Tänzerinnen und Tänzer gesittet in offener und in geschlossener Paarfassung dargestellt, während andere Darstellungen bäuerliche Tanzveranstaltungen mit Saufen und derben Alkoholfolgen schildern.
   
Tanzende Paare
bei einem Tanzfest der Herren von 
Königsegg-Rothenfels 
bei Immenstadt um 1650 (Ausschnitt). Die vornehme Gesellschaft wendet sich etwas ab vom tanzenden Volk, das nach Dudelsack und Schalmei beim "Hahnentanz" um den Preis tanzt. Hahn und das Glas Wasser sind schwer zu erkennen.
(Original im Westallgäuer Heimatmuseum in Weiler)

Interessanterweise haben wir die wenigen schriftlichen Zeugnisse aus der Zeit des Barock (Absolutismus) oft nur aus Gerichtsprotokollen. Es wird bei aller barocken Pracht oft vergessen, dass das einfache Volk durch viele Verbote sich kaum entfalten konnte, ja unter absolutistischer Willkür zu leiden hatte. Aus Siggen (heute in Argenbühl) erfahren wir, dass ein Anton Schäfer "gegeiget und gepfiffen" habe (Querpfeife), und bei anderer Gelegenheit sei "nur die Maultrommel gebraucht" worden. Es ging fast nie ohne Genehmigungskosten oder Strafe ab, d. h. dass an der Kultur des Volkes die Obrigkeit damals noch immer gut mitverdient hatte. Man tanzte dann auch nicht mehr um die Dorflinde, sondern besaß in den Dörfern verschiedentlich Tanzhäuser, die "Tanzlauben", die meist dazu Wirts- und auch Gerichtshäuser waren. Daneben suchte man die Gelegenheit zum Tanz in den Spinnstuben, den Kunkelstuben, was aber auch von der Geistlichkeit argwöhnisch wegen der gefährdeten Sittlichkeit betrachtet wurde. Die "ärgerlichen Tänze, Schleifer oder Walzer genannt", werden in Siggener Protokollen 1780 aufgeführt, wo festgestellt wurde, "dass die Hog- und Kunkelstube zwar erlaubt, wo jedes Geschlecht besonders zusammenkommt, zu nachts aber sollen die Weibsbilder zu Hause bleiben." Und man wolle neben dem Verbot des Tabakrauchens in den Ställen und Scheunen die "ärgerlichen Schleifertänz verbotten und jeden davon abgewarnet haben, widrigenfalls sich jedem selbsten beimessen müsse, wenn er ab dem Tanzplatz mit Spott und Schand fortgeschafft werde". 



Eines der seltenen Notenbeispiele von alten Tänzen: "Schleifer" (Notenbuch Beig, Scheidegg, 1808)

Doch  wurde jede Gelegenheit zum Tanzen genutzt. Man tanzte zur Fasnacht, zum Beginn des Frühlings um den Maibaum, auch zur Sonnenwende, zu der man im Allgäu noch im 18. Jh. um das Feuer tanzte und paarweise durch das Feuer sprang, selbst das Vieh durch das Feuer trieb.    

            

Erst nach der Erntezeit gab es das Fest der "Sichelhenke" oder nach dem Dreschen des Getreides die "Flegelhenkete" oder das  Kirchweihfest, das aber je nach Einweihungstag der Kirche alljährlich gefeiert wurde. Große Feste brachten immer die Hochzeiten, aber auch die Markttage. Im 19. Jahrhundert kamen dazu die Geburtstage der Könige. Selbst zum "Wurstball" wurde eingeladen.   

         

     Zwei Tanzanzeigen aus dem "Argen-Boten"        

Ein "Strohschneider" weist auf das ländliche Arbeitsleben hin (Scheidegg, 1809)

Mit der Demokratisierung im 19. Jahrhundert vollzog sich allerdings auch ein entscheidender Wandel nicht nur in der Gesellschaft und bei den Musikinstrumenten, sondern auch beim Tanz.

Internationales in Stadt und Land
Schon in frühen Jahrhunderten sorgten die umherziehenden Minnesänger, dass die Adeligen auf ihren Burgen mit neuer Musik aller Art und Länder Abwechslung erhielten. Ebenso brachten die Spielleute eher in der Stadt als auf dem Land Musik aus aller Herren Länder unter die Bevölkerung. Besonders während der Zeit des Absolutismus herrschte in Kreisen des Adels und der Kirche ein reger internationaler kultureller Austausch. 

Aber auch über die Grenzen der sozialen Schichtung wanderten Instrumente, Lieder, Musik und Tänze. Tanz- und Musikkultur aus den niederen Volksschichten konnten zu Moden an den Höfen werden, ob es der Dudelsack war, der an den französischen Höfen Mode "chic" wurde oder der Kontratanz, der seine Wurzeln in der Landbevölkerung hatte. 

Mit dem Erstarken des Bürgertums im 19. Jahrhundert setzte eine fast gegenläufige Bewegung ein. Zunächst waren es die Städter, die höfische Kultur als Vorbild nahmen und entsprechend aber auch veränderten. Aus einer Tanz-Anzeige aus dem Wangener Argen-Boten von 1841 kann sehr schön entnommen werden, wie z.B. die einst höfische Tanzmode nun von den Bürgern der Stadt gepflegt wurde. 

           

Selbst Russisches wurde übernommen (s. "Cosaque" in der Anzeige). In verschiedenen Notenbücher tauchen Namen wie "Kosak" (Weiler um 1750) oder "Russische Maersche" (Scheidegg, 1808) auf. 

  Gegen 1900 lesen wir in "Alt-Wangener Erinnerungen": "Der Wangener Schützenball war jedes Jahr ein besonderes gesellschaftliches Ereignis in der Fasnacht; er galt als sogenannter 'Weißer Ball', denn die Damen erschienen in weißen Kleidern oder sonstiger großer Balltoilette, die Aktiven der Gilde im neuesten Schützenanzug, alle anderen männlichen Teilnehmer in Gehrock oder Frack. Dazumal erbaten sich die Herren ihre Damen zum Tanze durch Einschreibung in die dargereichte Tanzkarte. Das Tragen weißer Glacé-Handschuhe beim Tanzen war eine Selbstverständlichkeit. Der Vorstand mit der Schützenliesel, die Schützenmeister und Bestgewinner 'führten' die festliche Polonaise an. 
In buntem Wechsel folgten Walzer, Schottisch, Mazurka, Ländler und dazwischen die früher so beliebten Kontertänze Francaise und Lancier."

Um 1900 wurden "Lanciers" und "Francaise" auch noch in Kisslegg unterrichtet und waren alten Leuten von ihren Eltern auch in Eglofs bekannt. Das Menuett, kunstvoller Tanz des Adels, konnte sich jedoch als Tanz in der Stadt nicht allzu lange halten, während man es am steifen Württembergischen Hof in Stuttgart und Wilhelminischen Schloss in Berlin um 1900 noch pflegte. Als Musik ist ein Menuett, von Stubenmusiken vorgetragen, bei festlichen oder kirchlichen Anlässen auch heute noch in der Stadt und auf dem Lande zu hören.

Auf dem ländlichen Tanzboden war ebenfalls die Zeit weitergegangen. Beherrschend blieb zunächst bis etwa um 1850 der Ländler. Mit ihm waren der Schottische und die (böhmische) Polka zunächst die wichtigsten Tänze. Auch die polnische Mazurka und die Polonaise fanden ihren Weg über die Städte aufs Land. Dazu war die "Francaise" ebenfalls als früherer höfischer Tanz über die Städte ja bis in die Allgäudörfer gekommen. Noch im Jahre 1900 wirbt ein Tanzlehrer in Kisslegg für den "Tanz-Unterricht" auch in "Francaise und Lanciers". 

Der wichtigste Tanz wurde schließlich der Walzer, der bei der Unterhaltungsmusik mit den Märschen ebenfalls ein "Dauerbrenner" wurde. Der Galopp war dazu als "Rausschmeißer" beim Tanz beliebt wie auch zur Unterhaltung in den großen Besetzungen. Dass die Begeisterung für Walzer und Galopp nicht ungeteilt war, kann dem Aufruf in der Zeitung entnommen werden. Auch Pfarrer Michel von Jung sang am Grabe eines Jünglings, dass er sich zu Tode getanzt habe.

Der Marsch wurde schließlich auch getanzt und galt ab den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts als "Schieber". Die gedruckten Notenausgaben für Tanzmusik bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts dokumentieren diese wichtigsten Tänze, die bis nach dem 2. Weltkrieg auf dem Lande noch von den kleinen Bläsergruppen gespielt wurden.

       
     Eine Meldung im Argen-Boten Wangen 1845

Zunächst verdrängten die Tänze aus Amerika mehr und mehr die inzwischen "eigenen" traditionellen Tänze in den Städten, der Foxtrott, Shimmy, Charleston, Boogie-Woogie aus dem Norden - Tango, Samba und Rumba aus dem Süden. Als "undeutsch" im 3. Reich verfemt, waren sie aber nicht mehr gänzlich zu verdrängen. Die Schellackplatten-Sammlung des Archivs aus der Region ist dafür ein deutliches Spiegelbild, das ebenso die Gesellschaftstänze Onestep und Twostep wenigstens als Musikbeispiele aufzeigt.  Der Walzer hielt sich bei den vielen Tanzmoden mit Twist, Rock 'n Roll, Mambo, Bossa Nova u.a. erstaunlich gut und zählt bis heute mit dem Langsamen Walzer, Tango, Slow-Fox, Quickstep zu den Standard-Tänzen der Tanzturniere, während Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Paso doble, Jive zur Lateinamerikanischen Disziplin gehören. Bei den Volkstänzern jedoch leben die obengenannten Tänze des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts weiter.

Quellen
Benz, Wolfram - Kendel, Gertrud II - Das große Lexikon der Musik - Walchner: Alt-Wangener Erinnerungen, Wangen, 1985, S.56 - Büchele, Berthold -

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