Der schwäbische Volkskundeforscher Paul Moser
(1901-1970) Einer der bedeutendsten schwäbischen Liedersammler
Zu den großen Liedsammlern im
württembergischen Schwaben gehört zunächst einmal
Ernst Meier1. Seine 235 Lieder
mit 31 Melodien und 406 Vierzeilersprüchen wurden schon 1855 in Berlin
gedruckt.
Anton Birlinger, Professor in Tübingen, veröffentlichte seine
Sammlung von 57 Liedern 18642.
Georg Thierers "Heimatsang - Lieder und Weisen von der Schwäbischen Alb"
umfasste 108 Lieder (1913). Die Sammlung von Erich Seemann3
(1917-1925) mit 716 Belegen im
Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg ergab 1929 ein Liederbuch
mit 100 Liedern.
August Lämmle4 schöpfte aus
Seemanns und den eigenen Sammlungen, aus denen er 1924 und 1929 weitere
zwei schwäbische Volksliederbücher5
zusammenstellte. Nach dem Krieg konnte 1953 aus den Schätzen des
Jonas Köpf
von der Schwäbischen Alb mit rund 700 Belegen ein letztes
(württembergisch)-schwäbisches Volksliederbuch herausgegeben
werden. Die meisten Aufzeichnungen zum schwäbischen Liedgut aber
stammen von Paul Moser, und zwar 969 Sprüche und Lieder aus dem
württembergischen Raum - aus dem Eschachtal (zwischen Schramberg
und Rottweil), Geislingen/Steige, Wurzach, Leutkirch und Kisslegg mit
Umgebung. Dazu kommen weitere 6 Lieder aus dem übrigen
Deutschland, 10 aus Ungarn, 3 aus dem ehemaligen Jugoslawien, 10 aus
der Ukraine und 33 aus Rumänien.6
Professor Dr. John Meier, der Gründer und Leiter des Deutschen Volksliedarchivs in
Freiburg,
schrieb in einem Gutachten über Mosers Liedsammlung am 8.
März 1940: "Es ist ... besonders zu begrüßen, dass sich
in Lehrer Paul Moser ein Mann gefunden hat, der in dem nach dieser
Richtung noch wenig durchforschten württembergischen Allgäu
die Volksliedsammlung in selbstlosem Einsatz und mit großem
sachlichen Verständnis durchführt. ... Es ist besonders
begrüßenswert, dass Lehrer Moser bei seiner Aufsammlung den
gesamten vom Volk beherrschten Liedbestand berücksichtigt hat,
ohne nach dem inneren Wert der einzelnen Lieder zu fragen, und damit
ein getreues und ungeschminktes Bild des Volksgesanges zeichnet, wie es
wissenschaftlich allein verantwortet werden kann.... Die Sammlung ist
von bleibendem Wert als Dokument eines Stückes schwäbischer
Volkskultur ... "7 Doch anders als bei den vorher genannten
Sammlern schlummern diese Schätze Mosers noch immer unveröffentlicht in den
Archiven.8
Volkskunde
Die wirkliche Forschungsarbeit dieses Mannes ist mit den Liedzahlen
aber nur angedeutet, denn sie stellen eigentlich nur einen Teil seiner
viel weiter reichenden Volkskundeforschung dar. So schrieb Paul Moser
eine
Volkskunde aus dem Eschachtal mit mundartlichen Ausdrücken, Kinderreimen, Sprichwörtern, Redensarten, Schnellsprechversle und einem
Flurnamenverzeichnis der Markung Horgen (1935, dabei 67 Lieder und 94 Sprüche), eine
Volkskunde Geislingen/Steige mit Sprichwörtern und Redensarten (1938/39, dabei 8 Lieder, 25 Sprüche), eine
Volkskunde Wurzach (Original verschollen - mit 34 Liedern, 239 Sprüchen), eine Volkskunde St. Leonhard
(bei Leutkirch 1938) mit 106 Kinderversen, Rätseln, Abzählversen, 42 alten Kinderspielen, (100
"Ränzla" und
137 Liedern)9.
Die Volkskunde Kisslegg, mit besonderer Widmung von Ludwig Finkh und August Lämmle 1943, ist von allen am umfangreichsten (528 Seiten!) und
lässt hier mit wenigen Beispielen die volkskundliche Bedeutung seiner Arbeiten
erahnen. Sie ist folgendermaßen gegliedert:
232 Kinderverse
Diese Kinderverse wiederum schlüsselt er selbst auf in: Wiegaversle, z.B.
Heida, heida Wiegestroh, wenn's Kendle schloft ist d'Mama (d'Mutter)
froh.
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|
Weiter gibt es: Schwaigerle, Heilsprüchle, 2 Überraschungsversle,
3 Fingerspiele, 3 Tanzversle, 6 Kniereiterle, 2 Orakelsprüche, Kinder und Tiere, Regen und Schnee, Aus alter Zeit,
D'Wochetag, Kleine Helfer bei der Arbeit, Frohe
Feste, Zwoierloi Wensch, 30 Neck- und Spottverse, De große Leut, Was doch all's geaba
ka, Verkehrsmittel, En der Großschuel. 15 Stabreimsprüchle, 11
Zongeschleiferle, Siebemol verkehrte Welt, 9 Kinderrätsel und Scherzfragen, 22
Abzählverse, 12 lustige Gschichtle, A Durranand (Durcheinander).
977 mundartliche Ausdrücke von Kisslegg und Umgebung
Diese sind alphabetisch geordnet. Unter B steht z.B.
Bollakarra: Handwagen zum Mistführen,
Fachausdruck: "Italienerkarren"
Bomm (m) Sarg.
Von "Einbaum", der altgermanischen Sargart.
Ausdruck wird seltener. "I muess no'da Bomm hola."
1176 Sprichwörter und Redensarten
Wieder sind sie alphabetisch angeordnet, z. B.
9. A Kend hot ma schneller
as taused Mark v'rsparet.
13. A magerer Vergleich
ist besser as 'n fetter Prozess.
1176. Zwoi Narra
könnet it karra
(zwei "Gleichgescheite" arbeiten nicht immer gut
zusammen)
50 alte Rätsel
Erstaunlicherweise stehen alle diese Rätsel in hochdeutscher Sprache:
9. In welcher Schule
haben die Zöglinge Augen und sehen nicht?
(in der Baumschule)
49. Wo haben die Flüsse kein Wasser?
(Auf der Landkarte)
90 Schnaderhüpfl, von Moser in der "Volkskunde St. Leonhard"
auch "Ränzla" genannt, werden allgemeiner mit dem Begriff
"Vierzeiler" bezeichnet. In Verbindung mit einfachen Melodien werden
sie in geselliger Runde gesungen, wobei verschiedene Sänger sich
abwechseln können. Ungeradtaktige können von geradtaktigen
unterschieden werden. Hier ein Vierzeiler im Dreiertakt:
41. Eiser Magd, die wollt küssa em Stall drauss' an Bue;
No verwischt se em Donkla 's End von der Kueh!
226 Lieder
Seine Sammlung "Singendes Allgäu" wurde erst später in die "Volkskunde
Kisslegg" mit eingebunden. Leider
sind hier die Melodien dieses Liederschatzes nicht festgehalten. Paul Mosers Aufzeichnungen der
Melodien10
waren bei den früheren Sammlungen etwas umfangreicher gewesen,
jedoch konnte ein anderer schwäbischer Forscher, der
Musikwissenschaftler Dr. Alfred Quellmalz11, Mosers Texte mit den Melodien bei den noch lebenden Gewährsleuten in den Jahren
1951/5212 ergänzen. Sie sind uns in den Transkriptionen des
Deutschen Volksliedarchivs in Freiburg erhalten. |
Gewährsleute, die
Geschwister Boneberger,
Zaisenhofen, um 1939
|
A. Quellmalz hatte, in Isny
aufgewachsen, selbst schon um seine Heimatstadt herum Ende der
zwanziger Jahre Lieder gesammelt. Die Besonderheit gegenüber
anderen schwäbischen Liedammlungen liegt in der relativen
Häufigkeit der alten Balladen12 im Allgäu, weshalb hier ein Beispiel angefügt sei:
2. Der Jüngling musste fort von hier, musst sieben Jahr in die Fremde
ziehn.
Und als verflossen gleich sieben Jahr, flocht sie Vergissmeinnicht in ihr Haar.
3. Sie ging jetzt in den grünen Wald, meint, ihr Geliebter käme bald.
Sie setzt sich auf ein dürres Holz, da kam ein Reitersmann so stolz.
4. "Gott grüße dich, feines Mägdelein, was tust du hier so ganz allein?" -
"Es sind verflossen heut sieben Jahr, dass mein Allerliebster von mir war."
5. "Ich komm gerad aus dieser Stadt, da dein Geliebter Hochzeit hat.
Was wünschest du ihm noch dafür, dass er die Treu gebrochen dirT'
6. "Ich wünsch ihm so viel Glück und Freud als Sand am Meere weit und breit.
Ich wünsch ihm so viel Wohlergehn als Stern bei Nacht am Himmel stehn!
7. Er warf ein Ringlein in ihren Schoß, mit heißen Tränen sie es begoss. -
"Trockne ab, trockne ab die Tränen dein, ich bin dein Geliebter ganz allein!"
8. Er zog aus seiner Tasche dann ein schneeweiß Tuch, gewaschen rein. -
"Trockne ab, trockne ab die Tränen dein, ich bin dein Geliebter ganz allein!
9. Ich stellte dich wohl auf Versuch, ob du mir tätest einen Fluch.
Hättest du mir den Fluch getan, war ich geritten meine Bahn!"
Sammlung Paul Moser - Text: Anna Boneberger, Zaisenhofen 1939
Melodie: A. Quellmalz - von Josefine Boneberger, Zaisenhofen 1951 DVA Nr.162290
In diese Bände der "Volkskunde" mit
selbstgestaltetem, künstlerischen Titelblatt und persönlicher
Widmung an die Gemeinde sind Bilder (Zeichnungen, Scherenschnitte,
Aquarelle, Photos) zur weiteren Illustration von Moser eingefügt
und akribisch genau auch die Namen der Gewährsleute verzeichnet
bis zur Berechnung des Durchschnittsalters, das in Kisslegg bei 44
Jahren lag.14 Damit waren aber Mosers Forschungen noch lange nicht abgeschlossen. In weiteren Arbeiten
lässt er erkennen, wie umfassend er den Begriff Heimatkunde verstand.
120 Kinderspiele
Genau und umfassend
erklärte und beschreibt er 120 Kinderspiele auf 178 A4-Seiten, die
er 1947 mit der Widmung versah: "Ich widme die Arbeit der Gemeinde Kisslegg, insbesondere den Kindern von Kisslegg und Umgebung."
Hierzu hatte er die Weisen noch 1953 an die Landesstelle für
Volkskunde nachgereicht. In seinem Verzeichnis gliederte er
folgendermaßen:
1. Fangspiele (13.)
2. Suchspiele (4)
3. Ballspiele (8)
|
|
4. Gehspiel
5. Juckspiele (Hüpfspiele) (4)
6. Seiljuckspiele (Seilhüpfspiele) (7)
7. Reihenspiele (4)
8. Kreisspiele
a) einfache Kreisspiele (3)
b) Kreissingespiele (9) |
9. Nachahmungsspiele (9)
10. Ratespiele (8)
11. Brückenspiele (1)
12. Hausspiele (19) 13, Pfänderspiele (2)
14. Pfandauslösungsspiele (2)
15. Kugelspiele (6)
16. Sonstige Spiele a) Knabenspiele
b) Mädchenspiele (9) |
Nicht einmal während der Kriegszeit ruhte seine Forschungsarbeit.
"Während der Gefangenschaft suchte ich in den Ruhepausen Verbindung mit Schwaben aus
dem Südostraum, um Volkslieder und Kinderverse aufzuzeichnen... "15
So befragte er in der Gefangenschaft neben seiner Arbeit als
Sanitäter in verschiedenen Lazaretten in Ungarn, Jugoslawien und
Rumänien vor allem die Donauschwaben. Und es muss für ihn ein
tiefes Erlebnis gewesen sein, aus Scheindorf bei Sathmar in
Nordrumänien auch noch ein Lied aus seiner Heimat angetroffen zu
haben, waren die Sathmarer Schwaben doch vor rund 200 Jahren aus
Oberschwaben und auch aus der Umgebung von Kisslegg ausgewandert.
Das Jahres- und Lebensbrauchtum der Landgemeinde Kisslegg i.A.
Paul Moser dokumentierte in dieser Arbeit, wie in seiner Heimatgemeinde
der Jahreslauf sich in Fest und Feier gestaltete und wie von der Wiege
bis zum Grabe, der Einzelne, Familie und dörfliche Gemeinschaft
sich freuten und litten. Er beschrieb auf 194 A4-Seiten 235
Anlässe. Zum 7. Oktober, z.B., führt er an:
"Rosenkranzfest. Der Oktober ist in der
Volksfrömmigkeit, da er der Rosenkranzkönigin geweiht ist,
der 'Rosenkranzmonat'. Der Rosenkranz begleitet den Allgäuer
durch das Kirchenjahr und das ganze Leben. Er begleitet ihn zur
Erstkommunion, Firmung, Trauung, zur Ewigen Anbetung, zu
Bittgängen, Prozessionen, Wallfahrten usw. und zuletzt betet er
ihn auf dem Krankenlager und im Sterben. Dem Toten wird der Rosenkranz
um die Hände geschlungen und ins Grab mitgegeben. "
Bei Geburt und Taufe erfahren wir: Kinderlose Ehefrauen wallfahren, um sich Kindersegen zu erbitten, gerne
auf den Gebhardsberg bei Bregenz.
Flurnamen
1954 begann Moser mit der Erkundung der oft jahrhundertealten
Bezeichnungen für Wald-, Wiesen und Ackerstücke. Er beschrieb
und erklärte dabei 34 Namen aus der Katasterkarte von 1825 wie im
folgenden Beispiel:
Kisslegger Ansicht, Aquarell von W. Kreissle
in "Volkskunde Kisslegg"
|
"1
Bärenweiler Feld (Bäraweiler Feld) Äcker - Ebenes gegen
die östl. anschließende Flur 'Galgenbühl' (Ziff. 13)
ansteigendes Gelände, zu dem der kleine, rundliche Schlingsee
gehört, der immer mehr 'verlandet'. Die Flur wird seit 1880
durchschnitten in N-S-Richtung v. der Bahnlinie Kißlegg-Wangen.
... "
In einer weiteren Spalte im
vorgegebenen Vordruck ging Moser an die wissenschaftliche Deutung des
Namens, wofür er sich aus Stuttgart hatte Spezialliteratur
zuschicken lassen und dazu im Gemeindearchiv nachschlug: " Bärenweiler Feld', Felder, die seit altersher zu Bärenweiler, d. h. zur
'Fürstl.
Hospitalverwaltung' von Bärenweiler gehören. - Eigentum der Herrschaft
Zeil.."
|
Ortsnamen
Weitere volkskundliche Forschungen befassen sich mit der Herkunft der
vielen Orts- und Weilernamen. Zunächst schreibt Moser Allgemeines über Siedlungsgeschichte, Siedlungsweisen im Oberschwäbischen Raum, insbesondere im Allgäu
und beschäftigt sich mit der Entstehung der Landschaft durch den
letzten Gletscher der Eiszeit. Er erklärt die Begriffe Alt- und
Jungmoräne, um die Besiedlung nach den Römern durch die
Alemannen anzuschließen. Als Sprachforscher spürt er den
Ortsnamen zunächst allgemein nach und das immer in einer sehr
ansprechenden, lebendigen Form: "Wie steht es nun aber mit den so undeutsch, fast slawisch anmutenden aber doch so typisch allgäuerischen Ortsnamen wie
Lanquans, Seibranz, Eisenharz, Sandraz ... ?" Es folgt nach der Erklärung eine ausführliche
Statistik zu Kisslegg im Jahre 1954 - "Das ergibt bei 340 Höfen
durchschn. 14 Stück Vieh
im Stall. "
- Eine Beschreibung von 142 Ortsnamen der Markung Kisslegg bildet den
Hauptteil dieser Arbeit, wobei er auch abgegangene Namen mit
aufführt. Ein Beispiel möge diese besondere Leistung
zeigen:
1. a) Weiler auf -reute
1. Reute (Gdeteil Sommersried) 666,8m ü.M. , 2,9 km westl. von
Kisslegg. Mundartl. Reide. Reute von mhd. Riuti, Ruti = Reutung,
Rodung. Reute ist wie Pfaffenweiler eine Gründung des Klosters St.
Gallen, aber jünger als "Burg ". In Oberschwaben gibt es im ganzen
20 Ortsnamen Reute.
Zu den alphabetisch aufgelisteten Ortsnamen zeichnete er noch verschiedene Karten
(Kisslegg und Diepoldshofen) mit der Lage der Weiler und Orte bis zur Darstellung der Markung
um 1200.
Sagen
Aus der Seele des Volkes, von Geistern, Hexen und grausamen
Räubern, erzählt hier Paul Moser und ergänzt damit die
volkskundliche Forschungsarbeit. 13 davon wurden 1974 im Heimatbuch, "Kißlegg, Bild einer Marktgemeinde", veröffentlicht. Erstaunlich grausam dabei die Sage vom
"Räuber und die zwölf Müllerstöchter":
"... Wenn der unheimliche Kerl ein Mädchen entführt hatte,
dann setzte er sich unter eine himmelhohe Tanne und begann, einen
Strick aus Weidenruten zu drehen. Das arme Ding mußte ihn derweil
lausen. Der Räuber hielt seinen Kopf ganz ruhig und erzählte
seltsame Geschichten. So trieb er es auch, als er die zwölfte
Müllerstochter zu der Tanne gebracht hatte. Da fiel ein
Blutstropfen aus den Ästen auf die Hand des Mädchens herab.
Es schaute hinauf und sah mit vor Schrecken geweiteten Augen seine elf
Schwestern an Weidenstricken in dem Baume hängen."16
Allgäuer Kost
Paul Moser beim
Kartenspiel
|
Weiter ließ sich Paul Moser bei seinen Hausbesuchen von den Allgäuer Köchinnen erzählen, was
"Leib und Seele zusammenhält". Von einem dieser kräftigen und süßen Gerichte, die er mit all ihren Besonderheiten aufzeichnet vom
"Häberle Mus" über die "Backerbsle- Supp", "g'röste
Bodabiere" oder "Krautkrapfa", erzählen auch zwei Lieder aus seiner Sammlung:
Kässpätzle, Kässpätzle,
Kässpätzle send halt guat,
wenn ma drzua sechs Oier nemmt,
ond s'Schmalz it spara tuat.17
|
Dampfnudla en da Zwetschgabrüeh oder mit Kraut,
des ist a rare Kost, do wird neighaut. ... 18
Paul Moser hatte sich während seiner Kriegsjahre auch mit einer
Sammlung der Soldatensprache beschäftigt, was aus dem
Schriftwechsel mit Stuttgart (1942) hervorgeht, und er trug sich
weiterhin mit dem Gedanken, im Allgäu um Kisslegg herum der
Volksmedizin (um1953) nachzuspüren. Aufzeichnungen davon sind
allerdings nicht aufzufinden.
Paul Moser als Schriftsteller
Neben den wissenschaftlichen Aufzeichnungen aus den vielen Bereichen
der Volkskunde lieferte Moser auch verschiedene Beweise seiner
Erzählkunst. So schrieb er in der Zeitschrift "Das schöne Allgäu"19 in einem dichterisch gestalteten Bericht über das tausendjährige Rötsee, einen Weiler bei
Kisslegg:
"Schlanke Birken mit wehenden Zweigen säumen das
Sträßlein, das mit mäßiger Steigung die Höhe
erklimmt. Dann dehnt sich zu beiden Seiten das weißflächige
Rötseer Moos mit Heidekraut und schwellenden Moospolstern, mit
dichtgedrängten Blaubeersträuchlein und seltsamen
Riedgewächsen aller Art. Ein Habicht zieht einsam seine Kreise,
und verkrüppelte Kiefern ducken sich vor der Gewalt des Windes,
der über die Hochfläche saust ...."
Dramatisch formt er im gleichen Bericht die sagenhafte Lebensgeschichte des Eremiten
Ratperonius:
"Der schwärzeste Tag seines Lebens zog herauf. Mit Schimpf und
Schande wird Ratperonius aus der so mühsam aufgebauten Siedlung
verjagt. Ein verlorener Mann in den Augen der Welt, ein Ärgernis
für die Frommen, so verläßt er das Werk seines Lebens.
Bei der letzten Biegung des Weges ein letzter Blick auf die
Eremitenkirche. Oh Rötsee! - Leer und ausgebrannt ist sein Herz. "
Und heiter wird der "Kurort Kisslegg im Allgäu" in einer umfangreichen Betrachtung von Paul Moser
"angestrahlt"20, wo er in Briefform erzählt:
"Wir verweilten längere Zeit interessiert bei den Voranzeigen des
modernen Kißlegger Kinos. Gleich daneben fließt eine
Alkoholquelle, die von den Eingeborenen den Namen "Schwarzer Adler "
erhielt. Auf der linken Seite sprudelt voller "Kraft" eine 2. Quelle,
diesmal eine Benzinquelle. An dieser Quelle stießen wir auf eine
größere Herde wilder Opels, zahmer Volkswagen und eleganter
Mercedes, die dort ihren Durst löschten. ... " Und als
Abschluss (wohl selbst gedichtet):
Wir, die Herrn von Kiselegge,
Vornen Kies und hinten - lecke,
Holdrio, juhu21
So ließ Moser noch in verschiedenen Zeitungsartikeln
von sich hören, in denen er sein ungeheures Wissen mit seiner
schöpferischen Sprache verbinden konnte.
Wichtige Stationen seines Lebens
Paul Albert Moser, geboren am 20. Februar 1901, stammt aus dem
schwäbischen Geislingen, der Fünftälerstadt am Rande der
Ostalb, und ist Sohn des Konditormeisters Aquilin Moser und seiner
Ehefrau Paula, geb. Zeller. Nach der Volksschule in Geislingen wechselt
er für drei Jahre in die Realschule. Über das Progymnasium
und die Aspirantenanstalt in Tuttlingen schlägt er die Ausbildung
zum Volksschullehrer ein, bei der er von 1914-1920 die Lehrerseminare
in Rottweil und Schwäbisch Gmünd besucht. Nach seiner 1.
Dienstprüfung wird Paul Moser an verschiedensten Stellen in
Württemberg in die Pflicht genommen: Butsheim, Kr. Spaichingen,
Stuttgart, Mengen und Obereschach (bei Ravensburg). Nach seiner 2.
Dienstprüfung in Stuttgart kommt er nach Weingarten, Aulendorf,
Göppingen und Horgen (bei Rottweil, 1929-1933), wo er seine
Volkskunde des Eschachtales zusammenstellt. Neckarsulm und
Großengstingen (bei Reutlingen) sind die weiteren Stationen. Von
1934-36 lehrt er in Schramberg. Er bleibt zunächst als Lehrer im
Kreis Rottweil (Irslingen und Schömberg), wird dann Amtsverweser
in Wurzach und wechselt ins Schul- und Lehrerwohnhaus nach St Leonhard
(damals Gemeinde Hofs bei Leutkirch 1937-38). Am 10. 10.37 stirbt sein
Vater.
Spindelwag (Kr. Biberach) ist
für ihn als Lehrer eine weitere Station. Dort rundet Paul Moser
seine Volkskundearbeiten St. Leonhard und Wurzach ab.
1938 kommt er als
ständiger Lehrer nach Kisslegg, wo er am 27.12. 1938 Hermine, geb.
Tobias, heiratet. Dienstlich hat er Stellvertretungen in Waltershofen
und Immenried nachzukommen. Am 3.2.40 stirbt das erste Kind Josef. Am
9.7.41 wird Tochter Maria-Dorothea geboren.
Am 13.5.41 muss er zur Wehrmacht, wo er bis Kriegsende als
Sanitätsobergefreiter in Lazaretten in Griechenland, Bulgarien,
Serbien, Albanien und Kroatien seinen Dienst versieht. 1943 fällt
sein Bruder in Russland, 1944 stirbt seine Mutter. Vom Kriegsende
erzählt er selbst in einem Schreiben22:
".. am 8.5.45 in Kroatien von Partisanen 'geschnappt', über die
österr. Grenze entkommen, den Engländern übergeben."
In englischer Gefangenschaft ist er dann bis 1. Mai 1946.
Nach der Gefangenschaft unterrichtet er weiter in Kisslegg. Prof. Dr.
Dölker gratuliert Moser zur Beförderung zum Oberlehrer23, die er nach 34 Dienstjahren erreicht. Paul Moser äußert sich wieder im Briefwechsel mit Stuttgart:
"Habe ich Ihnen geschrieben, daß ich 1 1/2 Jahre schwer krank war
u. a. 3 mal einen Kollaps hatte? Nächstes Jahr, Ende März,
lasse ich mich pensionieren."24 Paul Moser darf dann erst 1966 in den Ruhestand. Er stirbt am 18. Oktober 1970 in
Kisslegg.
Enttäuschungen
Es ist schon zu fragen, warum es von einem solch bedeutenden
Sammlerwerk bis heute keine Veröffentlichung gibt. Lag es daran,
dass Paul Moser von seiner Forschungsarbeit in der Öffentlichkeit
um ihn herum kaum etwas merken ließ? Er selbst galt als ein
zurückhaltender, ruhiger Mensch, der wenig von sich sprach. Ein
Schüler aus seiner Zeit in Spindelwag erzählt von ihm als
Besonderheit, dass sie viele Lieder bei ihm gelernt hätten und er
nie geschlagen habe.25
Allerdings geht aus seinem Schriftwechsel mit der Landesstelle für
Volkskunde in Stuttgart hervor, dass ihm sehr wohl daran gelegen haben
muss, aus seinen Arbeiten zu veröffentlichen. Schon 1936 hat ihm
wohl August Lämmle eine Publikation in Aussicht gestellt, und
seine Anfragen kreisen später immer wieder um diesen Punkt: "Aus meiner Volkskunde Kisslegg werde ich nach dem Kriege
unverzüglich in Buchform veröffentlichen. Ebenso aus meinen
anderen Arbeiten. "26 Dazu bemerkt Dölker
1947:
"Gerade in einem Ihrer letzten Briefe hierher sprachen Sie von
Veröffentlichung nach dem Krieg. Dazu wird ja leider im Augenblick
die Zeit wenig günstig sein. Aber vielleicht haben Sie doch schon
Wege gefunden, auf denen Sie zum Ziel kommen könnten."27 1950 betont Moser wieder:
"Und darf ich Ihnen nochmals sagen, daß es ein Herzenswunsch von
mir ist, diese (Volkskinderspiele) in der Reihe 'Schwäbische
Volkskunde' aufgenommen zu sehen! ... Auf die Dauer wirkt es doch recht
deprimierend, den Ertrag so vieler Mühen einem hierfür
interessierten Leserkreis nicht vorlegen zu können. " 1953:
"Kann die Sammlung immer noch nicht ... Aufnahme finden?"-
"Gartenarbeit und Volkskunde, Volkskunde und Gartenarbeit. Beides sehr interessant, reich an Enttäuschungen und wenig
lohnend".28
Andere Wege findet Moser nicht. Seine Verbitterung ist zu spüren: "Ich
habe dem Gemeindeoberhaupt den Vorschlag gemacht, für 2
Bücher die Schreibkosten u. die Einbindekosten zu übernehmen
(1 ExempL f d. Gde, das andere für mich bestimmt). Da ihm die
Schreibkosten zu hoch erschienen, schlug ich vor, die Schreibarbeit
einer Schreibkraft des Rathauses zu übertragen. Ursprünglich
wurde von mir verlangt, der Preis pro Buch dürfe 10 M. nicht
überschreiten. Ist das nicht ein überwältigendes
Interesse für eine volkskundliche Arbeit, die mich 2-3 Jahre
intensiv beschäftigte? .... Sie werden verstehen, daß man
bei derartigen Schwierigkeiten u. Enttäuschungen die Lust am
Weiterarbeiten verliert..."29
Paul Moser bietet seine Aufzeichnungen noch der Universität Tübingen30 an, was Dölker nicht für sinnvoll ansieht. Aber auch aus der Übernahme durch die Landesstelle, bei der 350.- bis
500.- DM in Aussicht gestellt wurden, wird nichts.
Im bereits zitierten Brief31, in dem Moser von seiner Krankheit schreibt, resigniert er schließlich:
"Meine VK (Volkskunde Kisslegg)
ist übrigens abgeschlossen bis auf die Flurnamen, die ich bei dem
Riesenumfang der Gemarkung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr
bearbeiten kann. Nun, was ich neben meiner beruflichen Tätigkeit
in meiner freien Zeit an volkskundlichen Überlieferungen in
verschieden Landesteilen
Württembergs gesammelt, bearbeitet und aufgezeichnet habe in etwa 3 Jahrzehnten, das ist geschehen."
Gedanken zum Lebenswerk von Paul Moser
Eines seiner aufgezeichneten Lieder trifft vielleicht sogar das eigene
Schicksal. Es erzählt von dem tragischen Fall des Schneiders von
Ulm, der mit seinen Forschungen und Experimenten fast 100 Jahre seiner
Zeit voraus gewesen war.
2. Flügel macht er sich aus Federn, band sie auf dem Rücken fest,
/:wollt vom Münsterturrn rabfliegen wie ein Vogel, wie ein Vogel aus dem Nest.:/
3. Drunten saß viel Volk beisammen, droben stand er auf dem Turm.
/:Plötzlich fängt er an zu fliegen schnurstracks in den, schnurstracks in den Donaustrom.
:/
4. Schuster, bleib bei deinem Leisten, heißt ein altes Sprüchelein.
/:Schneider, lasse du das Fliegen, bleib bei deiner, bleib bei deiner Schere
fein.:/
Samml. Paul Moser - Haldenhaus b. Rot a.d. Rot, Josef Föhr, 1938 Melodie 1939, Original in
B-Dur, DVA Nr.158273 (St 9517)
Paul Mosers wissenschaftliche Leistung ist unbestritten. Aber der Krieg
hatte sein Lebenswerk durchschnitten. Denn in den folgenden Jahren
hatte der wirtschaftliche Aufbau des Ortes und des Landes einen anderen
Stellenwert als die kulturellen, ideellen Werte, die von ihm vertreten
wurden. Schließlich war durch den letzten Krieg ebenfalls
deutlich geworden, wie weit der Missbrauch einer "Blut und
Boden"-Ideologie durch die Politik führen kann.32 Paul Moser hatte
außerdem mit seiner zurückhaltenden Art keine
Persönlichkeit der Medien oder der Politik hinter sich gebracht
und auch die besonderen Voraussetzungen für seine Arbeit
während des Dritten Reiches nicht für sich persönlich
genutzt. Zwar brach die hohe Einschätzung heimatkundlicher Werte
nach dem Kriege nicht sofort ab, doch waren in Baden-Württemberg
die Prioritäten in den 60er und 70er Jahren kulturell anders
gesetzt, während in unseren Nachbarländern Vorarlberg,
Schweiz und Bayern kein derartiger Bruch mit der Tradition
festzustellen war.
Erst in den 80er Jahren sind
auch in unserem Lande Bestrebungen festzustellen, welche die Bedeutung
regionaler Kultur wieder ins Bewusstsein rücken. Heimatvereine
wurden gegründet. Kleine Musikgruppen lassen Überliefertes
wieder erklingen. Seit 1990 wird die regionale Zeitschrift "Im Oberland" des Landkreises Ravensburg herausgegeben. Überörtlich fühlt sich seit 1993 ebenso die
"Arbeitsgemeinschaft württembergisches Allgäu" für die Erhaltung und Pflege der tradierten Kultur zuständig. 1996 formierte sich die neue
"Gesellschaft Oberschwaben"
mit ähnlichen, regional aber weiterreichenden Zielen. Es scheint,
dass hier Möglichkeiten gesucht werden, in einer sich immer
stärkeren Globalisierung der Wirtschaft und in der
Vergrößerung der politischen Einheiten die Identität
nicht zu verlieren. Paul Mosers ungeheure Lebensarbeit könnte uns
dabei helfen nicht nur von der Fülle der Materialien her, sondern
auch durch den dahinterliegenden Grundgedanken einer ganzheitlichen
Betrachtungsweise unserer Umgebung in Raum und Zeit, die damit zur
Heimat werden kann.
von Wolfram Benz (1997, Bilder ergänzt
2001)
Anmerkungen
1 Schwäbische Volkslieder, G,Reimer, Berlin, 1855; Reprint
J.Schweier, Kirchheim, 1977-, Meier war Professor für
morgenländische Sprachen in Tübingen
2 Schwäbische Volkslieder, Nachdruck Georg Olms Verlag, Hildesheim, 1974
3 Seemann, Erich: Die Volkslieder der Schwaben, aus dem Munde des
Volkes aufgezeichnet, Silberburg, Stuttgart, 1929; Seemann wurde
später als Doktor und Professor Leiter des Deutschen
Volksliedarchivs in Freiburg.
4 Lämmle erhielt später die Leitung der Abteilung Volkstum im
Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart (Rücktritt
1937).
5 Die Volkslieder in Schwaben, Silberburg GmbH Stuttgart, 1924 (101
Lieder) Württembergische Volkslieder, 19. Heft mit
Unterstützung des deutschen Volksliedarchivs, Eugen Salzer,
Heilbronn, 1929 (60 Lieder)
6 im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg und in der Landesstelle für Volkskunde in Stuttgart
7 Schriftstück im DVA
8 Eine wissenschaftliche Einordnung seiner Liedsammlung in Zusammenarbeit
mit dem Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg ist vorgesehen.
9 aufbewahrt im Sitzungssaal von Hofs/Leutkirch
10 Die ungeheure Schreibarbeit ohne Aufzeichnung auf ein Magnetband oder die Bearbeitung durch ein
Computer-Schreib- oder Notenprogramm ist heute kaum mehr vorstellbar.
11 geb. 25.10.1899 in Oberdigisheim am Albrand, Vater ab 1901 Stadtarzt
in Isny/Allgäu, nach dem Studium 1928 Mitarbeiter im DVA in
Freiburg bis 1937, Leiter des Staatl. Instituts für Musikforschung
in Berlin bis 1945, Musikforschung in Südtirol, 1950-52 im
Allgäu; 1969 "Wolfgang-Amadeus-Preis" in Innsbruck, gestorben am
5.12. 1979 in Hauset/Belgien
12 bei 88 Liedern der Sammung Paul Moser
13 Quellmalz, Alfred: Volkslied und Volkstanz im Allgäu, in Schwäbische Heimat 4, 1953
14 So konnte ich den in der "Volkskunde von St. Leonhard"
genannten, am 23.6.2002 verstorbenen 92jährigen Hans Kreuzer 1997
noch ausfindig machen, der aus seinem Liederheft von 1929 bis um 1940
von 113 Liedern über 60 Melodien noch kannte. Archiv-Nr. MC Ar 22
und BL Ar 85
15 Brief an die Landesstelle in Stuttgart, 1947
16 Die Gebrüder Grimm hätten sicher auch Freude an seiner fesselnden Sprache bei der Wiedergabe gehabt.
17 Volkskunde KissIegg S. 445
18 Volkskunde Kisslegg S.348
19 13. Jg. 1950
20 Schwäbische Zeitung, 24. Nov. 1955
21 Alle hier zitierten Quellen zu Kisslegg befinden sich dort im Gemeindearchiv.
22 an die Landesstelle für Volkskunde für Volkskunde in Stuttgart, 7.10.1947
23 Dölker war damals Leiter der Landesstelle in Stuttgart, Brief vom 6.9.1954
24 an die Landesstelle in Stuttgart, 27, 12.55
25 August Willburger aus Hirschbrunn/Spindelwag, heute Aichstetten
26 Postkarte aus der Kriegszeit an die Landesstelle, 22.4.1942
27 als Leiter der Landesstelle
28 Brief vom 6.10.53
29 17.10.1954
30 Prof. Dr. Hugo Moser, der bedeutende Liedsammler im schwäbisch
besiedelten Gebiet um Sathmar in Rumänien
31 27.12.1955
32 Wenn Lehrer Jonas Köpf in Suppingen die Möglichkeit gehabt
hatte, von seinen Aufzeichnungen noch ein Liederbuch herauszugeben, so
lag das in diesem Fall daran, dass er noch vor Kriegsende das
Manuskript des Liederbuches fertig hatte. Rechtsfragen nur
verzögerten den Druck des Liederbuches bis 1953. (s. Wager, Wulf: Das Suppinger Liederbuch, in: Volksmusikpflege in Baden-Württemberg, Karlsruhe, 1996)
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