Hans Kayser - 
ein Leben 
für die Harmonik der Welt

Ein Überblick 
von Wolfram Benz 
(Eglofs, 1996)

Seit einigen Jahren erinnert in Bad Buchau, einer kleinen Kurstadt in Oberschwaben, eine Gedenktafel an Hans Kayser. In Sigmaringen an der oberen Donau gibt es die Dr.-Kayser-Straße und dazu die Tafel mit der Bildnisbüste dieses Mannes und die Inschrift: "Dr. Hans Kayser. 1891-1964. Ein Leben für die Harmonik der Welt." Seit 1967 arbeitete in Wien das Hans-Kayser- Institut für harmonikale Grundlagenforschung, das 1992 in ein größer dimensioniertes Institut für Musiktheorie und Harmonikale Forschung integriert wurde. In aktuellen Publikationen im Zusammenhang mit harmonikalen Interpretationen unserer Welt steht sein Name bei Hinweisen und Zitaten noch vor Goethe, Bach und Kepler. Ohne ihn wären 1937 die Unterweisung im Tonsatz von Paul Hindemith und 1943 das Glasperlenspiel von Hermann Hesse so nicht geschrieben worden. 1962 hatte Hans Kayser den Oberschwäbischen Kunstpreis erhalten. Aber auch wenn E. Seifriz ihm 1972 im Oberschwabenbuch einen Platz eingeräumt hatte, scheint er doch im schwäbischen Bewusstsein weniger verankert zu sein.

Schwäbisch geprägt wurden allerdings nur die ersten Jahre in seinem Leben. Seine Mutter stammte aus einer gutbürgerlichen Biberacher Handwerkerfamilie. Der Vater war als preußischer Student nach Tübingen gekommen und als Provisor später nach Biberach. Am 1. April 1891 wurde Hans als zweites Kind der Apothekerfamilie Kayser in Buchau geboren. Schon 1892 zog die Familie nach Sigmaringen, wo der Vater die dortige Hofapotheke übernahm. Hans Kayser durfte dort mit seinem Vater die Schönheit der Schwäbischen Alb mit ihren besonderen Pflanzen entdecken und mit seinem Cello schon als Zehnjähriger die innere Welt der Musik im häuslichen Kreise bei Haydn, Beethoven und Schubert. Außergewöhnlich war zur damaligen Zeit schon, dass er zum Cellounterricht wöchentlich einmal nach Stuttgart fahren durfte. Er zeichnete und malte dazu sehr gerne und schwankte lange, welches seiner vielfältigen Talente er weiter ausbilden sollte.

Der hörende Mensch gewann schließlich gegen den sehenden, was in seinem Denken auch die entscheidenden Akzente setzte. Er studierte mit 20 Jahren in Berlin Musik und Naturwissenschaften und promovierte in Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in  Erlangen. Wieder in Berlin, wo er sich bei der Herausgabe Bücher deutscher Mystik einen Namen machte, begegnete er 1920 Keplers Harmonice Mundi und der Harmonikalen Symbolik des Altertums von A. Thimus. Dies gab seinem Leben die entscheidende Wendung.

Ölgemälde von Max Huber, 1935 

Am Monochord - eine über einen Resonanzkasten gespannte Saite - eröffneten sich Hans Kayser wieder die Weisheiten der Pythagoreer: Von einer bestimmten Saitenlänge (Maß im Raum) hören wir den Ton als psychisches Phänomen mit seiner bestimmten Frequenz (Maß in der Zeit). Wird die Saite halbiert, verdoppelt sich die Frequenz. Es erklingt als Tonwert die Oktave. Beim Intervallton der Quinte hört man wohltönend den Bruch 2/3. Physikalisch verändert sich die Frequenz dabei zu 3/2 im Vergleich zum Grundton. Töne sind somit seelische (qualitative) wie auch mathematische, physikalische (quantitative) Werte. Diese Tonzahlen in ihrer Komplementarität wurden für Hans Kayser bestimmend, und er erweiterte sie zu einem Grunddiagramm, dem Lambdoma (s. Hintergrund). Er spürte den Zahlenwerten der faszinierenden Kristalle nach und deutete sie weiter als Klangphänomene. Ebenso kommen auf diese Weise die Proportionen der Pflanzen zum Klingen. Goethes Urblatt erfuhr damit über ihn eine tiefere Einordnung. Er gab Dürers Studien über menschliche Körperproportionen diesen erweiterten Sinn und bestätigte genauer Keplers Sphärenharmonie und Goethes Ahnung: 

"Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang.."

Hans Kayser besaß nun sozusagen die Wünschelrute, mit der Eichendorff sein Gedicht überschrieben hatte:

"Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort."

Seine ersten Ergebnisse in der Erkenntnis von harmonikalen Gesetzmäßigkeiten im Mikrokosmos, dem Bau der Atome und Moleküle, wurden von Prof. Rudolf  Haase, dem ersten Leiter des Wiener Hans-Kayser-Instituts fortgeführt. Es überrascht dann auch weiter nicht, wenn heute neueste Meldungen aus Wissenschaft und Forschung von der Musik der DNS-Moleküle berichten. Die Tonzahlen sind ebenso im Bau der Geige zu entdecken, wie auch Plancks Quantentheorie im Einklang mit seiner Erkenntnis steht: Natura saltat - die Natur macht Sprünge.

Nicht ganz so harmonisch verlief dagegen sein Leben. Schon vor dem 1. Weltkrieg hatte er sich mit Clara Ruda in Berlin vermählt, die ihm in glücklicher Ehe drei Kinder schenkte. Finanzielle Sorgen brachten ihn immer wieder dazu, auch Privatunterricht in Musik zu erteilen. Frau Prym-v. Becherer, heute in Eglofstal bei Wangen, schildert den damaligen Gast in ihrem Elternhaus in Berlin-Zehlendorf als liebenswerten Menschen, wie er mit seinem Cello neben dem Flügel  saß: "Auch ging er dann zu den Tasten und schlug einige Töne an, die den Planeten am Himmel entsprächen." Er erzählte immer wieder von der Sphärenmusik. Sein Cellospiel war so schön und wohlklingend, dass ihre Mutter sagte: "Wenn ich mal sterbe, dann soll Hans Kayser Cello spielen!"
 

 
Hans Kayser um 1957
 

Die Machtübernahme Hitlers 1933 bewog ihn, der Einladung von Freunden aus der Schweiz zu folgen und mit seiner Familie nach Bern zu übersiedeln. Dort fand er Menschen, die ihm auch finanziell halfen, dass er frei und ohne Sorgen seinen Forschungen nachgehen konnte. 1952 baute er sich ein Landhaus in Bollingen bei Bern. Dort entstanden seine Werke, Bevor die Engel sangen und Paestum, wo er noch einmal den zahlenmäßigen, d.h. harmonikalen Zusammenhängen alter Baukunst nachforschte. "Sorgen, Sorgen, Sorgen! Aber das ganze Leben ist eine einzige Sorge und an allen Ecken und Enden immer fragwürdiger, je älter man wird. Nur die geistige Welt tönt und strahlt in uraltem und ewigem Glanz" (Brief 1955).

Hans Kayser wendet sich immer wieder gegen die Atomisierung der Wissenschaftsbereiche, die sich weiter spezialisieren und zerlegen. Nur der Vernunft den Zugang zum Geistigen zuzusprechen sei europäische Arroganz. Sie wird vom analytischen Auge bestimmt, das durch zählendes Messen trennt. 

Das Ohr dagegen vereinigt dieses Trennende. Im Hören, dem inneren Schauen, liegt die Synthese von Maß und Wert. So ist auch der Titel Akróasis, die Anhörung, zu verstehen, mit dem er sein Lebenswerk zusammenfasst, das aus über einem Dutzend Bücher, vielen Aufsätzen und eigenen Kompositionen besteht. Er kehrt damit zurück zum entscheidenden Ansatz seiner wichtigsten früheren Arbeiten, Der hörende Mensch (1932) und Vom Klang der Welt. Er sieht die Gefahr der Vermassung der Menschen, ermahnt zur Toleranz, fordert die Universalität der Wissenschaften und bietet dafür Lösungsansätze. Mit Schopenhauer, Leibniz parodierend, ist er sich einig: Musik ist eine geheime metaphysische Übung des Philosophierens unbewussten Geistes. Hans Kayser fasst selbst zusammen: "Wir können und dürfen auch sagen: es gibt eine lichte Welt nicht nur im Menschen. - Hört die Intervalle und Akkorde.. - und es wird eine große Ruhe über euch kommen, eine Ahnung von einer Sphärenmusik wird in eurer Seele aufleuchten, die von Gott ist, zu Gott führt und die ihr die Gnade habt, zu hören und zu erkennen." - Am 15. April 1964 starb Hans Kayser im Tiefenau-Spital (Kanton Bern) in der Schweiz.  

Schriften über Harmonik werden herausgegeben von WALTER AMMANN, KREIS DER FREUNDE UM HANS KAYSER, Biderstrasse 31, CH-3006 Bern, Tel. 031 931 1278. 
z.B.:

Amman, Walter (Hrsg).: Hans Kayser zum 100. Geburtstag am 1. April 1991.
Biographische Fragmente. 
Schriften über Harmonik. Bern 1991

Sandt, Lotti: Hans Henny Jahnn 1894-1959.
Zur Literatur, Harmonik und Weltanschauung des Schriftstellers und Orgelbauers.
Schriften über Harmonik Nr. 39, Bern 1997

Amman, Walter; Sandt, Lotti: Hans Kayser. Aus meinem Leben.
Bisher unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlass.
Schriften über Harmonik Nr. 26. Bern 2000

Harmonikale Forschung als Universitätslehrgang ist weltweit ausschließlich an der Universität Wien für Musik und darstellende Kunst eingerichtet. Der Lehrgang dient der ergänzenden Ausbildung neben oder nach einem ordentlichen Universitätsstudium.

Prof. Dr. Werner Schulze, Universität für Musik, Singerstr. 26, A-1010 Wien

Literatur 
Haase, Rudolf: Hans Kayser - Ein Leben für die Harmonik der Welt
© 1968 ISBN 3-7965-0105-2, Schwalbe & Co. AG, Basel
144 Seiten, 8 Tafeln, Leinen, DM 24,- (vergriffen)
 

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