Wolfram Benz
"Jetzt wolln mir eins singen"
Handschriftliche Liedersammlung aus Happareute im Westallgäu
von 1845, 1879 und 1914
| Von der Geschichte eines großen Fundes | Liedgattungen | Das historische, politische Lied, 
Soldaten- und Kriegslieder
| Stand und Beruf | Liebe, Ehestand | Scherzlieder | Geselligkeit | Heimat |

| Lebensweisheit | Natur | Mundart im Lied | Eine Francaise |


Teil 2
Stand und Beruf
Neben den bekannten Liedern, Der Jäger in dem grünen Wald, Im Wald und auf der Heide oder Es wollt ein Jägerle jagen, ist das Lied vom Bauredorf ein hübsches Beispiel einer Dorfgemeinschaft, zu der nicht nur die Leute gehörten.
Was braucht ma auf'm Bauredorf,
was braucht ma auf 'm Dorf?
An Pfarrer, der schön singt,
a Glocke, die gut klingt,
an Schulmeister, an gscheite Ma,
an Meßmer, der gut läute ka,
dös braucht man auf'm Bauredorf, 
dös braucht man auf'm Dorf.

Was braucht ma auf'm Bauredorf ...?
A Uhr, die redle zählt,
a Hund der wacker bellt,
a Richter, der nit gar z'grob b'straft,
den Baure nit zviel schaffe macht,
dös braucht ma auf'm Bauredorf .....

... an Miller, der nit stiehlt,
an Fuhrmann, der nit schilt,
a Wirtin, die nit trotzig ist,
an Goggeler auf jedem Mist ...

.... an Bäcker, der fest backt
und Semmle nit klui macht,
an Brauer, der 's Malz fleißig rührt
und macht, daß 's Bier nit wäßrig wird ...

... a Senne, der gut käst,
an Krämer, der gut meßt,
a Leier und an Dudelsack,
an gute Rauch- und Schnupftabak ...

... an Schmied, der wacker bschlagt,
an Flurer, der nit falsch klagt,
an große Bach, der Mühle treibt,
a alt's Weib, die kuim d' Ehr abschneidt ...

... an Schneider, der nix nimmt,
an Boten, der bald kommt,
an Bauer, der sei Weib nit schlagt,
a Weib, die übern Ma nit klagt ...

... an Kübel volle Schmalz,
für Vieh und Leut brav Salz,
viel Hanf, daß ma ka Leinwand kriege,
a Bettstatt und a kluina Wiega1 ..8

Für den Musikanten ist dabei der Hinweis auf die Drehleier und den Dudelsack aufschlussreich. Damit steht hier ein Beweis, dass diese Instrumente im Dorf früher gespielt wurden. Dass die kleinen menschlichen Schwächen damals auch nicht anders waren als heute, lässt uns schmunzeln. Für Soziologen gäbe es
weitere Deutungen.

Was wissen wir mehr über dieses Lied? Elf Strophen finden sich in Happareute, aufgeschrieben von M. Mader um 1880, während die Variante von 1939 aus Kisslegg 15 Strophen umfasst9. Es ist im schwäbischen Raum bis ins Elsaß bekannt10und steht im Standardwerk der deutschen Volkslieder (Erk/Böhme)11 ebenfalls
gleich umfangreich. Die Aufzeichnung im bayrischen Dialekt dort stammt aber aus Bayern und ist der Mader'schen Fassung sehr ähnlich. Liedforscher Böhme vermutete die Herkunft aus der Schweiz und schreibt den Text einem Pfarrer aus St. Gallen zu, der ihn 1796 gedichtet haben soll. Er hatte sich wohl getäuscht, denn in der Ostracher Liederhandschrift aus der Zeit um 1750 ist das LIed vom "Bauredorf" schon aufgeführt12. Dort lautet die Strophe mit den Instrumenten:

... en Hirt, der wacker blast,
a Kirch die d'Leit all faßt,
a Leier und an Dudelsack,
en gute Rauch- und Schnupftabak.
Liebe, Ehestand
Erwartungsgemäß nimmt dieses Thema den größten Raum ein und es spannt sich weit von der idealistischen Sicht bis zu einer deutlicheren Betrachtungsweise. - "Wie ich dich so innig liebe" -
"Du, du liegst mir im Herzen" - "Ach, Mädchen, nur einen Blick und nur einen Druck deiner Hand" - "Willst du einst Geliebte mich verlassen, o so wär mein Lebenstrost dahin." Doch es
kommt auch anders:
Auf meinem Brustfleck da tuts mir jucke,
herzigs Schätzele, komm und laß di drucke,
denn du weißt es gar so wohl,
daß i di a bitzel lieben soll...

I möcht kei Kuh sei, i möcht kei Sau sei,
aber heiraten möcht i wohl.
Ich möcht kui Wirtstochter, i möcht kui Pfaffenköchin,
aber a Bauren Madel möcht i wohl....13

Oder es wurde folgendermaßen gesungen und ist heute noch - nicht nur Volksliedforschern - bekannt:
Refrain: Da kann man rudern, da kann man segeln,
 da kann man schiffen; da kann man druia (Jodler).

3. Und kommt man in die Dreißig ein,
 so will man nicht mehr ledig sein.
 Man stellt sich eine Schiffre an,
 die das Rudern recht gut kann.  Refr....

Jedes Jahrzehnt erhält eine eigene Strophe:
5. Mit fünfzig Jahren fällt es schwer,
 das liebe Schifflein will nicht mehr.
 Der Steuermann im besten Ruhm
 kann seinen Wunsch nicht mehr erfülln
 und soll noch rudern ....14
Ähnlich versteckt erfahren wir - aber unweifelhaft ebenfalls erotisch gemeint - in zwei "Handwerker"-Liedern:
Ein guter Pfannenflicker, bei dem's gut geht,
hat nie an Arbeit Not,
wenn er das Pfannenflicken ein wenig gut versteht,
hat er das beste Brot.
Ich mach mir ja, ja gar nichts draus,
ich geh von Haus zu Haus.
Da kommens Weiber zama, brings ihm Pfanna,
sagt a jede: "Flick mir zuerst die mei!"15
Dieses Pfannenflickerlied war wohl sehr weit verbreitet und ist bis in unsere Tage bekannt. Woher es stammt? 1838 wurde das Theaterstück "Der lustige Pfannenflicker" in Sachsen aufgeführt. Schon um 1840
sang man dieses Lied im Westallgäu wie im Elsaß zu später Stunde. Ein weiteres aus diesem Bereich ist das Lied vom Tiroler-Hans:
Ich bin der lustige Tirolerhans,
ich bin bekannt im ganzen Land.
Was ich auf meinem Rücken trag,
ist lauter gute War.

Da geh ich zu der Bäurin hin,
wo allige Mädle juhe schrien.
Ja, Bäurin kauft's mein Wetzstui ab,
rief ich den ganzen Tag.

Sie sagt, da bin i glei dabei...
Da geb ich ihr ihn gleich in d'Hand..16.

Die Bildersprache aus der Pflanzenwelt früherer Jahrhunderte und die etwas derbere Ausdrucksweise wie hier vom Wetzstein, der normalerweise zum Schärfen der Sense dient,  wurden als Metaphern im Zusammenhang mit Erotik gerne gebraucht.17 Dies passte zur idealistischen Vorstellung von der reinen
Volksseele, die sich im Volkslied zeige, allerdings nicht, weshalb solche Lieder von vielen Forschen als anstößig und unmoralisch einfach "vergessen" wurden.

Ein anderes Lied schildert die Problematik zwischen Mann und Frau, wenn gerade ein alter Mann eine junge Frau hat, die unbedingt auf den Tanzboden möchte. Wenn er dann zu Hause bleibt, entwickelt sich zwischen einem Boten und der Tänzerin folgendes Gespräch:
 
"Weib, Weib, du sollst heim gehen,
dein Alter ist zu Haus!" -
"Ist er zu Haus, klagt er mi naus,
i gang nit heim bei der Nacht."

"Weib, Weib, du sollst heim gehen,
dein Alter ist krank!" -
"Ist er krank? Gott sei Dank!
I gang nit heim bei der Nacht."

"Weib, Weib, du sollst heim gehen,
dein Alter liegt in Zügen!" -
"Liegt er in Zügen, laßt ihn liegen!
I gang nit heim bei der Nacht." -

"Weib, Weib, du sollst heim gehen,
dein Alter ist tot!" -
"Ist er tot, ist kui Schad'.
I gang nit heim bei der Nacht." -

"Weib, Weib, du sollst heim gehen,
dein Alter ist begraben!" -
"Ist er begraben, laß ihn fahren!
I gang nit heim bei der Nacht."

"Weib, Weib, du sollst heim gehen,
dein Alter ist in der Höll! -
"Ist er i der Höll, huckt er wohl.
I gang nit heim bei der Nacht. -

"Weib, Weib, du sollst heim gehen,
dein Alter ist im Himmel!" -
"Ist er im Himmel, gönn ihms wohl,
ist er in der Höll, huckt er wohl.
I gang nit heim bei der Nacht. -
Nachbers Franz, Nachbers Franz,
nomal an Tanz bei der Nacht!"18

Diese Geschichte ist wohlgemerkt kein Einzelfall aus dem Allgäu, sondern sie spielt in ganz Deutschland, ebenfalls in Österreich und bei den Donauschwaben in Ungarn. Dabei wechseln die Rollen zwischen Mann und Frau. Carl Maria von Weber hatte diesen Text ebenfalls schon aufgeschrieben und eine Melodie dazu komponiert. Die versöhnlichere Ausweitung mit der Szene im Himmel ist dabei sehr selten anzutreffen. Man ist hier im Allgäu doch etwas gemäßigter im Vergleich mit Varianten aus anderen Landschaften.

weiter Teil 3

Fußnoten:
8  Buch  II (1879), Nr. 23
9 DVA Nr. 162409
10 J. Lefftz: Das Volkslied im Elsaß. 1967, Nr. 116
11 L. Erk/F.M. Böhme: Deutscher Liederhort. Leipzig 1894, Nr. 1544
12 In: Berthold Büchele: Deftige Barockmusik aus Oberschwaben. Ratzenried 1993, S. 70
13 Buch  II (1879), Nr. 24
14 I (1845), Nr. 47 und II, Nr. 19
15 I, Nr. 54. Ein recht ähnliches Lied findet sich im 3. Buch, wo erzählt wird, wie der Kaminfeger mit einem Besen seine Arbeit verrichtet (Nr. 38)
16 I, Nr. 11
17 s. Erwin Zachmeier: Geheimsprache Volkslied. In: Volksmusik in Bayern. München 1989, Heft 2, S. 17 ff.
18 I, Nr. 45; Erk/Böhme II, Nr. 910
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