Wolfram Benz
"Jetzt wolln mir eins singen"
Handschriftliche Liedersammlung aus Happareute im Westallgäu
von 1845, 1879 und 1914

| Von der Geschichte eines großen Fundes | Liedgattungen | Das historische, politische Lied, 
Soldaten- und Kriegslieder | Stand und Beruf | Liebe, Ehestand | Scherzlieder | Geselligkeit | Heimat |
| Lebensweisheit | Natur | Mundart im Lied | Eine Francaise |

Teil 4


  Lebensweisheit

Geld, Geld, Geld, ja du regierst die weite Welt

  2. Gehen wir zum Bauern hin
 und suchen ihn glei aus,
 gehen wir zum Fürsten hin
 und fragen sie glei aus,
 gehen wir zum Cardinal
 mit seinem roten Hut,
 gehen wir zum Rothschild hin,
  ja Geld, du bist mir gut. Refr.

3. Gehen wir zum Doktor hin,
 der weiß glei wo's uns fehlt,
 gehen wir in d' Apothek,
 auch do verlangt man Geld.
 Gehen wir zum Krämer hin
 im Notfall um ein Kleid.
 Do heißt es glei, ja haben's a Geld,
 i gib es nie auf beid. - 

4. Und wenn es einst zum Sterben kommt,
 so brauchen wir halt Geld,
 weil der Pfarrer ohne Geld
 uns keine Messe hält.
 Drum singet brav und pfeifet brav,
 verdienet euch brav Geld,
 weil es ja das beste ist
 wohl auf der ganzen Welt. -

5. Und willst du einst in Himmel nei
 und hast kui Geld bei dir,
 so sagt der Peter: "Marsch mit dir,
 du darfst nit bleiben hier."
 Und wenn du aber a Geld mitbringst,
 so läßt er di scho nei.
 Do kannst du ja im Himmel drin
 auch brav lustig sein. -

(Vorgesungen von Martin Mader 1995; Musikarchiv MC Ar 17,6; NA Ar 94, Nr. 94 u. NA Ar 95, Nr. 18)
Der Inhalt dieses ausgewählten Beispiels hat sicher bis heute noch nichts von seiner Aktualität verloren, auch jenseits bayrischer Grenzen, denn es ist stärker im bayrischen Dialekt gehalten. Es ist auch das einzige der wenig bekannten Lieder, das einigermaßen nach Martin Maders Gesang notiert werden konnte. Die Melodie ähnelt den in Bayern bekannten Tanzmelodien "Bauernmadl" und "Tiroler Schützen" und dem im Westallgäu aufgezeichneten "Bauer im Oberland".25

Daneben stehen recht inhaltsschwere Lieder: "Nur noch einmal in meinem ganzen Leben möcht ich meine Eltern wieder sehen","Was mich im Leben oft erfreut, das sind die alten Leut", "Wie
schön ist das ländliche Leben, wenn's Häuschen steht auf grüner Flur" u.a.

Natur
Sehr gemütvoll, aber manchmal auch recht geheimnisvoll sind die Lieder über die Wunder der Natur. So steht unter dem Titel Alpen Lied:
Die Sonn erwacht mit ihrer Pracht,
es führt sie Berge, das Tal.
O Morgenluft, o Waldesduft,
o goldner, ja goldner Sonnenstrahl.26
Wie hier das Wanderlied aus der Oper Preziosa von Carl Maria von Weber verändert wurde, zeigt, dass Lieder der Sammlung wohl aus dem Gedächtnis aufgeschrieben wurden. Bei Weber heißt es ursprünglich:
Die Sonn erwacht, mit ihrer Pracht
erfüllt sie die Berge, das Tal. -
Und das folgende Lied scheint noch geheimnisvoller:
Kleine Blumen, kleine Blätter
streifen wir mit leiser Hand.-
Guter Junge, ja frühlings Göttin
denkst du an mein Rosenband.27
Dahinter verbirgt sich nun ein Gedicht von Goethe aus seiner Zeit in Straßburg (1771), wo er selbst schrieb:
Kleine Blumen. kleine Blätter
Streuen mir mit leichter Hand
Gute junge Frühlingsgötter
Tändelnd auf ein luftig Band.
Es ist eines der Beispiele, die aufzeigen, wie sich ein Gedicht vom Dichter losgelöst hat und auch über anonyme Flugblätter in die mündliche Überlieferung gelangt ist.28

Nicht alle Lieder wurden so stark umgestaltet, zumal der Sinn z.B. in diesem Abendlied leichter verständlich war: "Seht ihr die Sonne sinken hinter die Berge hinein..."

Mundart im Lied
Der Musikwissenschaftler Alfred Quellmalz29meinte 1953 noch: "Ursprünglich waren Lied, Tanz, Tracht, Bräuche und dergleichen rein schwäbisch. ... Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts vermengte sich das bodenständige schwäbisch-alemannische Gut weitgehend mit dem bairisch-tirolischen."
Anteil der Mundarten Aus den vorliegenden Liederbüchern kann diese allgemeine, eher ideologische Annahme hier allerdings nicht bestätigt werden, auch wenn die tirolischen Sängerschaften und die Bewegung der Trachten- und Heimatvereine aus dem bayrischen Raum sicher einen erheblichen Einfluss hatten, was der hohe Anteil dieser Mundarten zeigt. Nicht erst seit dem vorigen Jahrhunderts vermischte  sich einheimisches Liedgut mit fremdem, denn Kulturgut wurde zu allen Zeiten ausgetauscht. Selbst Lieder im eigenen Dialekt können von einer ganz anderen Region stammen.30  Der hohe Anteil an hochdeutschen Liedern wurde auch in anderen Liedersammlungen bestätigt.
Die große Überraschung - eine Francaise
Was folgende Eintragungen am Schluß des älteren Notenbuchs von 1845 bedeuten sollten, war zunächst unklar:
Frasedanz, I Dur, 1 Komplimente, 1 mal Schonagleß31, 2 schritt lings balanzieren, rundum Damen wechseln, bromenade rechts..
Doch nachdem aus Wohmbrechts (um 1890) und Eisenharz (um 1920) bereits die Musik für eine Francaise, ein Gesellschaftstanz des 19. Jahrhunderts, in handschriftlichen Noten vorlagen, kann es sich hier nur um die dazugehörige Tanzbeschreibung handeln. Diese Musik aus 5 Teilen (Touren) gehört zu den Quadrillen  und trägt den Titel Der lustige Tanzmeister. Somit besitzen wir mit dieser Aufzeichnung einen wichtigen Nachweis für die längere Tradition einer Francaise auch im nördlichen Westallgäu mit der damals gespielten
Musik und der dazugehörigen Choreographie. Aus Tanzanzeigen im Argenboten aus Wangen geht hervor, dass Tanzmeister diesen besonderen Kontratanz, die Francaise, 1865 unterrichteten und ebenfalls noch in Kisslegg um 1900. Martin Mader berichtete (1995) von einer "Franseh", die nach 1945 noch in Wohmbrechts getanzt worden sei. Hier muss natürlich die andere "Franseh" genannt werden, die heute in
Oberstaufen nach einem alten Brauch am Fasnets-Dienstag von Mitgliedern des "Staufner Heimatdienstes" auf die Musik der Fledermaus-Quadrille von Johann Strauß getanzt wird. Die "Übersetzung" und Rekonstruktion der Einträge im Lieder-Buch lauten32:

Francaise-Tanz
Aufstellung der Paare in zweimal zwei Reihen gegenüber; rechts vom Herr steht die eigene Partnerin, gegenüber die Dame des Gegenpaares.
I Tour
1 Komplimente: Die Herren treten mit 4 Schritten vor ihre Dame zur Linken,  verbeugen sich, gehen dann zur rechten Dame und begrüßen  diese, kehren zum Platz zurück und begrüßen die Dame  gegenüber. Vor Beginn der eigentlichen Figur verbeugt sich der Herr leicht vor der eigenen Dame.
1 mal Chaine Anglaise (Englische Kette):  Die Paare fassen sich jeweils an den linken Händen -  Platzwechsel usw.
2 Schritt Balancé: Pendelschritte mit einem Schritt seitwärts usw.
Promenade: Die Paare gehen, sich an der linken Hand führend und rechts ausweichend, auf den Gegenplatz.
Damit ist diese Form fast identisch mit einer Überlieferung aus Babenhausen und auch der Staufner sehr ähnlich.

Ausblick
Wieviel doch eine solche Liedsammlung über das Denken und Fühlen des Westallgäuers im 19. Jahrhundert aussagen kann, ist deutlich geworden. Darüber hinaus liefert sie originelle Lieder der Region zum heutigen Gebrauch, auch wenn dies durch das Fehlen der Melodien überaus schwierig ist. Schließlich kann von den Tanzbegeisterten unserer heutigen Zeit diese Francaise mit der originalen Musik wieder eingeübt werden, denn neben den Oberstaufnern bemühen sich Gruppen in Isny, Kisslegg und Aichstetten um diese überlieferten Tänze, die in ihrer Form ein ganz besonderes geselliges Erlebnis ermöglichen und ein Gegengewicht zum "Solotanz" bilden, wie er heute in den Diskotheken vorherrscht.
    
zum Anfang

Fußnoten:
25 Eglofser Notenbüchle, Eglofs 1989, S. 11
26 Buch II, Nr. 30
27 Buch I, Nr. 18
28 Waltraud Linder-Beroud: Von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit? Frankfurt (P. Lang Verlag) 1989, S. 224 ff
29 Alfred Quellmalz: Volkslied und Volkstanz im Allgäu. In: Schwäbische Heimat 4, 1953, S. 33
30 s. Wolfram Benz: "Heim sell i' geih, dou soll i bleibn, meina Moutta sell i d'Erdäpfel reim". Zur Verbreitung eines Volksliedes. In: Volksmusik in Bayern, München 1996/1, S. 1-6
31 von Chaine Anglaise = englische Kette. Ähnliche Verballhornungen der ursprünglich französischen Kommandos sind auch von Kommandozetteln aus Babenhausen ("Schöne Klee") und Ziemetshausen
("Schinangles") bekannt. Beschreibungen im Archiv für Volksmusik in Schwaben; freundl. Mitteilung v. E. Sepp.
32 nach Benno Willburger, Dietmannsried; auch aus Tettnang liegt eine ähnliche Fassung vor.
Eine erste Fassung dieses Aufsatzes wurde 1996 im Jahrbuch des Landkreises Lindau in kürzerer Form veröffentlicht, als nur die beiden ersten Bücher bekannt waren (Verlag W. Eppe, Bergatreute).

| Allgäu-Schwäbisches Musikarchiv |