Die Hand- oder Ziehharmonika  und das Akkordeon

    
 
Einfache, diatonische Handharmonika 
mit nur einer Tonart, etwa 1870

Heute bezeichnet man mit Harmonika eine Gruppe neuartiger Musikinstrumente, denen trotz verschiedenartigster äußerer Form das gleiche Prinzip der Tonerzeugung eigen ist: durchschlagende (freischwingende) Stimmzungen, die vor der Längsöffnung einer Stimmplatte aufgenietet sind, werden durch einen Strom verdichteter Druck- oder Saugluft in den Stimmenschlitz hineingedrückt bzw. hineingezogen, schwingen aber infolge ihrer Elastizität wieder zurück. Unterstützt durch die eigene Federkraft, geraten sie durch die Druckunterschiede über und unter den Stimmplatten in schnelle Bewegung, die durch die damit verbundene periodische Verdichtung bzw. Verdünnung der Luft den Ton ergibt. Nach der Art der Erzeugung des Spielwindes unterscheidet man die Handharmonika von der Mundharmonika

 

   
Das Hohner Club-Modell, häufig in den 
30er Jahren in Laienorchestern

Bei der Handharmonika wird der Spielwind (Druck- und Saugluft) durch einen mit Hilfe der Hand bzw. des Armes bewegten Falten- oder Laternenbalg erzeugt, der die beiden Spielseiten des Instruments (Manuale) miteinander verbindet. Der Spielwind wird durch viereckige Tonkanäle gesteuert, die durch Luftklappen geöffnet bzw. geschlossen werden.

Auch bei dem Harmonium, dem "Orgelersatz" für geistliche Musik, gilt das gleiche Prinzip. Beim Treten des Blasebalgs wird der nötige Luftstrom für die "Zungen" erzeugt.

Die Hand- oder Ziehharmonika hat sich somit aus der Mundharmonika entwickelt - in der Form eines kleinen Kastens, in dem Tasten oder Knopftasten, Federn, Stahlplatten und ein Blasbalg montiert waren. Anfangs konnte man darauf nur in einer Tonart spielen. 

Im Verlauf einer mehr als 100jährigen Entwicklung haben sich die verschiedensten Formen der Handharmonika-Instrumente herausgebildet, die aber heute auf zwei Grundtypen zusammengeschmolzen sind: die wechseltönigen (diatonischen) und die gleichtönigen (chromatischen) Instrumente. Die diatonischen fasst man heute unter dem Sammelnamen Handharmonika zusammen, für die chromatischen verwendet man die Bezeichnung Akkordeon. Beide Gruppen zeigen äußerlich im wesentlichen die gleichen Merkmale und unterscheiden sich auch im Bau und in der Funktion ihrer Teile nur geringfügig voneinander.

Systematik der europäischen Handharmonikas (Aerophone mit durchschlagenden Zungen)


Die steirische Hand- oder Ziehharmonika, "d'Ziach"

   

Eine "Steirische", "Steirisches Örgele"
(gebaut v. Peter Stachel, Graz, 1945)

Diese Handharmonika entwickelte sich aus dem " Wiener Modell" - das ist eine Weiterentwicklung des 1829 patentierten Demian'schen "Akkordions" - und aus der "Deutschen Harmonika", die aus der Buschmann'schen "Handaeoline" entstand.

Sie ist diatonisch, also wechseltönig, d. h., auf Zug und Druck erklingen verschiedene Töne. Um 1870 fand sie bereits technisch und klanglich die Form, in der sie - abgesehen von Materialverbesserungen - heute noch gebaut wird.

Die Besonderheit dieses Instruments liegt im absoluten Klangunterschied zum derzeitig gebräuchlichen chromatischen Akkordeon. Die Diskantseite klingt hell und durchsichtig, in hohen Lagen durchdringend und scharf. 
  

    

Das diatonische Bandoneon, 
in der Volksmusik bis zum argentinischen 
Tango im Einsatz (Fa. ELA, um 1950)

Auf der Bassseite, die mit 6 kleinen Metalltrichtern versehen ist, erklingen tiefe, ein wenig schneidende Helikonbässe (Helikon ist ein tubaähnliches Instrument im Blasorchester). Diese Tonfärbung kann weder von einer anderen Harmonika noch vom Akkordeon nachgeahmt werden. Die Bassseite ist in reine Bässe und in jeweils mit einer Taste gekoppelte Dreiklangnachschlagakkorde (in Dur und in Moll) eingeteilt. Das große Modell hat 33 Melodie- und 12 Bass- beziehungsweise Akkordtasten.

Es gibt Instrumente mit verschiedenen Tonartkombinationen. Bei Modellen mit vier Tastenreihen gibt es folgende Tonarten : G, C, F, B, auch C, F, B, Es oder A, D, G, C. 

Bei den alpenländischen Volksmusikanten ist dieser Typ der "Steirischen" besonders beliebt.


Das Akkordeon

Eigentlich stammt der Name von den auf einen Tastendruck mitklingenden anderen Tönen, die Akkorde bilden und geht auf den von Demian 1828 geprägten Begriff "Accordion" zurück. Um 1900 verdrängt die "Handharmonika" diesen Begriff, der erst nach dem 1. Weltkrieg für die gleichtönende Handharmonika einengend gebraucht wurde und bis heute beibehalten wird. 

Während die Harmonika in Form des Bandoneons, andernorts auch Konzertina genannt, eine Weiterentwicklung erfuhr, setzte sich nach 1930 in kürzester Zeit das neu eingeführte chromatiscbe Akkordeon durch. Druck und Zug erzeugen den gleichen Ton, die Melodieseite weist ein vom Klavier übernommenes Tastensystem auf. Doch war dieses Prinzip schon 1850 von dem deutschen Musiker Franz Walther entwickelt worden. Vereinzelt findet man noch Knopfgriffinstrumente in deutscher, holländischer, italienischer, schwedischer oder Wiener-Stimmung. (Grundprinzip der Melodieseite: Mehrere senkrecht gegeneinanderstehende, geringfügig gegeneinander verschobene Tastenreihen; die Töne folgen in Schrägreihen chromatisch aufeinander.)

Beim Akkordeon können auf der linken Seite nach wohldurchdachter Knopfanordnung sowohl Einzelbässe als auch Dur-, Moll-, Dominantseptakkorde und verminderte Dreiklänge gespielt werden. 

Erstaunlich ist, dass neben dem Akkordeon mit den vielen harmonischen und klanglichen Möglichkeiten über ihre temperierte Stimmung die diatonische Handharmonika bei der Volksmusik wieder sehr beliebt geworden ist. Auch wenn die Tonarten begrenzt sind, entfaltet sie mit ihrer natürlichen Stimmung einen wieder gern gehörten, harmonischen Klang. 

Quellen
Artmeier, Alfred: Volksmusik. Gemeinsames Musizieren, München, 1976 - Maurer, Walter -

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