Der schwäbische
Volkskundeforscher Paul Moser
(geboren 1901 in Geislingen - gestorben 1970 in Kißlegg)
Einer der
bedeutendsten schwäbischen Liedersammler
Zu den großen Liedsammlern
im württembergischen Schwaben gehört zunächst einmal Ernst Meier1. Seine
235 Lieder mit 31 Melodien und 406 Vierzeilersprüchen wurden schon 1855
in Berlin gedruckt. Anton Birlinger, Professor in Tübingen, veröffentlichte
seine Sammlung von 57 Liedern 18642. Georg
Thierers "Heimatsang - Lieder und Weisen von der Schwäbischen
Alb" umfasste 108 Lieder (1913). Die Sammlung von Erich
Seemann3
(1917-1925) mit 716 Belegen im Deutschen Volksliedarchiv in
Freiburg ergab 1929 ein Liederbuch mit 100 Liedern. August Lämmle4 schöpfte
aus Seemanns und den eigenen Sammlungen, aus denen er 1924 und 1929
weitere zwei schwäbische Volksliederbücher5
zusammenstellte. Nach dem Krieg konnte 1953 aus den Schätzen des Jonas
Köpf von der Schwäbischen Alb mit rund 700 Belegen ein letztes (württembergisch)-schwäbisches
Volksliederbuch herausgegeben werden. Die meisten Aufzeichnungen zum
schwäbischen Liedgut aber stammen von Paul Moser, und zwar 969 Sprüche
und Lieder aus dem württembergischen Raum - aus dem Eschachtal
(zwischen Schramberg und Rottweil), Geislingen/Steige, Wurzach,
Leutkirch und Kißlegg mit Umgebung. Dazu kommen weitere 6 Lieder aus
dem übrigen Deutschland, 10 aus Ungarn, 3 aus dem ehemaligen
Jugoslawien, 10 aus der Ukraine und 33 aus Rumänien.6
Professor Dr. John Meier, der Gründer und Leiter des Deutschen
Volksliedarchivs in Freiburg, schrieb in einem Gutachten über
Mosers Liedsammlung am 8. März 1940: "Es ist ... besonders zu begrüßen,
dass sich in Lehrer Paul Moser ein Mann gefunden hat, der in dem nach
dieser Richtung noch wenig durchforschten württembergischen Allgäu die
Volksliedsammlung in selbstlosem Einsatz und mit großem sachlichen
Verständnis durchführt. ... Es ist besonders begrüßenswert, dass
Lehrer Moser bei seiner Aufsammlung den gesamten vom Volk beherrschten
Liedbestand berücksichtigt hat, ohne nach dem inneren Wert der
einzelnen Lieder zu fragen, und damit ein getreues und ungeschminktes
Bild des Volksgesanges zeichnet, wie es wissenschaftlich allein
verantwortet werden kann.... Die Sammlung ist von bleibendem Wert als
Dokument eines Stückes schwäbischer Volkskultur ... "7
Doch
anders als bei den vorher genannten Sammlern schlummern diese Schätze
Mosers größtenteils noch immer unveröffentlicht in den Archiven.8
Volkskunde
|
Die
wirkliche Forschungsarbeit dieses Mannes ist mit den Liedzahlen
aber nur angedeutet, denn sie stellen eigentlich nur einen Teil
seiner viel weiter reichenden Volkskundeforschung dar. So schrieb
Paul Moser eine Volkskunde aus dem Eschachtal mit
mundartlichen Ausdrücken, Kinderreimen, Sprichwörtern,
Redensarten, Schnellsprechversle und einem Flurnamenverzeichnis
der Markung Horgen (1935, dabei 67 Lieder und 94 Sprüche), eine Volkskunde
Geislingen/Steige mit Sprichwörtern und Redensarten
(1938/39, dabei 8 Lieder, 25Sprüche),
eine Volkskunde Wurzach (Original verschollen
- mit 34
|
Liedern,
239 Sprüchen), eine Volkskunde St.
Leonhard (bei Leutkirch 1938) mit 106 Kinderversen, Rätseln,
Abzählversen, 42 alten Kinderspielen, (100 "Ränzla"
und 137 Liedern)9.
Die Volkskunde Kißlegg, mit
besonderer Widmung von Ludwig Finkh und August Lämmle 1943, ist
von allen am umfangreichsten (528 Seiten!) und lässt hier mit
wenigen Beispielen die volkskundliche Bedeutung seiner Arbeiten
erahnen. Sie ist folgendermaßen gegliedert:
232 Kinderverse
Diese Kinderverse wiederum schlüsselt er selbst auf in: Wiegaversle,
z.B. Heida, heida Wiegestroh, wenn's Kendle schloft ist d'Mama
(d'Mutter) froh.
Weiter gibt es: Schwaigerle,
Heilsprüchle, 2 Überraschungsversle, 3 Fingerspiele, 3
Tanzversle, 6 Kniereiterle, 2 Orakelsprüche, Kinder und Tiere,
Regen und Schnee, Aus alter Zeit, D'Wochetag, Kleine Helfer bei
der Arbeit, Frohe Feste, Zwoierloi Wensch, 30 Neck- und
Spottverse, De große Leut, Was doch all's geaba ka,
Verkehrsmittel, En der Großschuel. 15 Stabreimsprüchle, 11
Zongeschleiferle, Siebemol verkehrte Welt, 9 Kinderrätsel und
Scherzfragen, 22 Abzählverse, 12 lustige Gschichtle, A Durranand
(Durcheinander).
977 mundartliche Ausdrücke von Kißlegg und Umgebung
Diese sind alphabetisch geordnet. Unter B steht z.B.
Bollakarra: Handwagen zum Mistführen,
Fachausdruck: "Italienerkarren"
Bomm
(m) Sarg. Von "Einbaum", der altgermanischen Sargart.
Ausdruck wird seltener. "I muess no'da Bomm hola."
1176 Sprichwörter und
Redensarten
Wieder sind sie alphabetisch angeordnet, z. B.
9. A Kend hot ma schneller as taused Mark v'rsparet.
13. A magerer Vergleich ist besser as 'n fetter Prozess.
1176. Zwoi Narra könnet it karra (zwei
"Gleichgescheite" arbeiten nicht immer gut zusammen
50 alte Rätsel
Erstaunlicherweise stehen alle diese Rätsel in hochdeutscher
Sprache:
9. In
welcher Schule haben die Zöglinge Augen und sehen nicht? (in der
Baumschule)
49. Wo haben die Flüsse kein Wasser? (Auf der Landkarte)
90 Schnaderhüpfl, von Moser in der "Volkskunde St.
Leonhard" auch "Ränzla" genannt, werden
allgemeiner mit dem Begriff "Vierzeiler" bezeichnet. In
Verbindung mit einfachen Melodien werden sie in geselliger Runde
gesungen, wobei verschiedene Sänger sich abwechseln können.
Ungeradtaktige können von geradtaktigen unterschieden werden.
Hier ein Vierzeiler im Dreiertakt:
41.
Eiser Magd, die wollt küssa em Stall drauss' an Bue;
No verwischt se em Donkla 's End von der Kueh!
226 Lieder
Seine Sammlung "Singendes Allgäu" wurde erst später
in die "Volkskunde Kißlegg" mit eingebunden.
Leider sind hier die Melodien dieses Liederschatzes nicht
festgehalten. Paul Mosers Aufzeichnungen der Melodien10
waren bei den früheren Sammlungen etwas umfangreicher gewesen,
jedoch konnte ein anderer schwäbischer Forscher, der
Musikwissenschaftler Dr. Alfred Quellmalz11,
Mosers Texte mit den Melodien bei den noch lebenden Gewährsleuten
in den Jahren 1951/5212
ergänzen. Sie sind uns in den Transkriptionen des Deutschen
Volksliedarchivs in Freiburg erhalten.
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Alfred
Quellmalz hatte, in Isny aufgewachsen, selbst schon um seine
Heimatstadt herum Ende der zwanziger Jahre Lieder gesammelt. Die
Besonderheit gegenüber anderen schwäbischen Liedsammlungen liegt
in der relativen Häufigkeit der alten Balladen12
im Allgäu, weshalb hier ein Beispiel angefügt sei:
Gewährsleute,
die Geschwister Boneberger,
Zaisenhofen, um 1939
|
|
2.
Der Jüngling musste fort von hier, musst sieben Jahr in die Fremde
ziehn.
Und als verflossen gleich sieben Jahr, flocht sie Vergissmeinnicht
in ihr Haar.
3. Sie ging jetzt in den grünen Wald, meint, ihr Geliebter käme
bald.
Sie setzt sich auf ein dürres Holz, da kam ein Reitersmann so
stolz.
4. "Gott grüße dich, feines Mägdelein, was tust du hier so
ganz allein?" -
"Es sind verflossen heut sieben Jahr, dass mein Allerliebster
von mir war."
5. "Ich komm gerad aus dieser Stadt, da dein Geliebter Hochzeit
hat.
Was wünschest du ihm noch dafür, dass er die Treu gebrochen dir?'
6. "Ich wünsch ihm so viel Glück und Freud als
Sand am Meere weit und breit.
Ich wünsch ihm so viel Wohlergehn als Stern bei Nacht am Himmel
stehn!
7. Er warf ein Ringlein in ihren Schoß, mit heißen Tränen sie es
begoss. -
"Trockne ab, trockne ab die Tränen dein, ich bin dein
Geliebter ganz allein!"
8. Er zog aus seiner Tasche dann ein schneeweiß Tuch, gewaschen
rein. -
"Trockne ab, trockne ab die Tränen dein, ich bin dein
Geliebter ganz allein!
9. Ich stellte dich wohl auf Versuch, ob du mir tätest einen Fluch.
Hättest du mir den Fluch getan, war ich geritten meine Bahn!"
Sammlung Paul Moser - Text: Anna
Boneberger, Zaisenhofen 1939
Melodie: A. Quellmalz - von Josefine
Boneberger, Zaisenhofen 1951 DVA Nr.162290
In
diese Bände der "Volkskunde" mit
selbstgestaltetem, künstlerischen Titelblatt und persönlicher
Widmung an die Gemeinde sind Bilder (Zeichnungen, Scherenschnitte,
Aquarelle, Photos) zur weiteren Illustration von Moser eingefügt
und akribisch genau auch die Namen der Gewährsleute verzeichnet bis
zur Berechnung des Durchschnittsalters, das in Kißlegg bei 44
Jahren lag.14
Damit waren aber Mosers Forschungen noch lange nicht
abgeschlossen. In weiteren Arbeiten lässt er erkennen, wie
umfassend er den Begriff Heimatkunde verstand.
120 Kinderspiele
1. Fangspiele (13.)
2. Suchspiele (4)
3. Ballspiele (8) 4. Gehspiel
5. Juckspiele (Hüpfspiele) (4)
6. Seiljuckspiele (Seilhüpfspiele) (7)
7. Reihenspiele (4)
8. Kreisspiele
a) einfache Kreisspiele (3)
b) Kreissingespiele (9)
9. Nachahmungsspiele
(9)
10. Ratespiele (8)
11. Brückenspiele (1)
12. Hausspiele (19) 13, Pfänderspiele (2)
14. Pfandauslösungsspiele (2)
15. Kugelspiele (6)
16. Sonstige Spiele a) Knabenspiele
b) Mädchenspiele (9)
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Nicht
einmal während der Kriegszeit ruhte seine Forschungsarbeit. "Während
der Gefangenschaft suchte ich in den Ruhepausen Verbindung mit Schwaben
aus dem Südostraum, um Volkslieder und Kinderverse aufzuzeichnen...
"15
So befragte er in der Gefangenschaft neben seiner Arbeit als Sanitäter
in verschiedenen Lazaretten in Ungarn, Jugoslawien und Rumänien vor
allem die Donauschwaben. Und es muss für ihn ein tiefes Erlebnis
gewesen sein, aus Scheindorf bei Sathmar in Nordrumänien auch noch ein
Lied aus seiner Heimat angetroffen zu haben, waren die Sathmarer
Schwaben doch vor rund 200 Jahren aus Oberschwaben und auch aus der
Umgebung von Kißlegg ausgewandert.
Das Jahres- und Lebensbrauchtum der Landgemeinde Kißlegg i.A.
Paul Moser dokumentierte in dieser Arbeit, wie in seiner Heimatgemeinde
der Jahreslauf sich in Fest und Feier gestaltete und wie von der Wiege
bis zum Grabe, der Einzelne, Familie und dörfliche Gemeinschaft sich
freuten und litten. Er beschrieb auf 194 A4-Seiten 235 Anlässe. Zum 7.
Oktober, z.B., führt er an:
"Rosenkranzfest.
Der Oktober ist in der Volksfrömmigkeit, da er der Rosenkranzkönigin
geweiht ist, der 'Rosenkranzmonat'. Der Rosenkranz begleitet den
Allgäuer durch das Kirchenjahr und das ganze Leben. Er begleitet ihn zur
Erstkommunion, Firmung, Trauung, zur Ewigen Anbetung, zu Bittgängen,
Prozessionen, Wallfahrten usw. und zuletzt betet er ihn auf dem
Krankenlager und im Sterben. Dem Toten wird der Rosenkranz um die Hände
geschlungen und ins Grab mitgegeben. "
Bei Geburt und Taufe erfahren wir: Kinderlose Ehefrauen wallfahren, um
sich Kindersegen zu erbitten, gerne auf den Gebhardsberg bei Bregenz.
Flurnamen
1954 begann Moser mit der Erkundung der oft jahrhundertealten
Bezeichnungen für Wald-, Wiesen und Ackerstücke. Er beschrieb und erklärte
dabei 34 Namen aus der Katasterkarte von 1825 wie im folgenden Beispiel:
"1
Bärenweiler Feld (Bäraweiler Feld) Äcker - Ebenes gegen die östl.
anschließende Flur 'Galgenbühl' (Ziff. 13) ansteigendes Gelände, zu dem
der kleine, rundliche Schlingsee gehört, der immer mehr 'verlandet'. Die
Flur wird seit 1880 durchschnitten in N-S-Richtung v. der Bahnlinie Kißlegg-Wangen.
... "
In einer weiteren Spalte im
vorgegebenen Vordruck ging Moser an die wissenschaftliche Deutung des
Namens, wofür er sich aus Stuttgart hatte Spezialliteratur zuschicken
lassen und dazu im Gemeindearchiv nachschlug:
"Bärenweiler
Feld', Felder, die seit altersher zu Bärenweiler, d. h. zur 'Fürstl.
Hospitalverwaltung' von Bärenweiler gehören. - Eigentum der Herrschaft
Zeil.."
Ortsnamen
Weitere volkskundliche Forschungen befassen sich mit der Herkunft der
vielen Orts- und Weilernamen. Zunächst schreibt Moser Allgemeines
über Siedlungsgeschichte, Siedlungsweisen im Oberschwäbischen Raum,
insbesondere im Allgäu und beschäftigt sich mit der
Entstehung der Landschaft durch den letzten Gletscher der Eiszeit. Er erklärt
die Begriffe Alt- und Jungmoräne, um die Besiedlung nach den Römern
durch die Alemannen anzuschließen. Als Sprachforscher spürt er den
Ortsnamen zunächst allgemein nach und das immer in einer sehr
ansprechenden, lebendigen Form: "Wie steht es nun aber mit den so
undeutsch, fast slawisch anmutenden aber doch so typisch allgäuerischen
Ortsnamen wie Lanquans, Seibranz, Eisenharz, Sandraz ... ?" Es
folgt nach der Erklärung eine ausführliche Statistik zu Kißlegg im
Jahre 1954 - "Das ergibt bei 340 Höfen durchschn.
14 Stück Vieh im Stall. " - Eine Beschreibung von 142 Ortsnamen
der Markung Kißlegg bildet den Hauptteil dieser Arbeit, wobei er auch
abgegangene Namen mit aufführt. Ein Beispiel möge diese besondere
Leistung zeigen:
1.
a) Weiler auf -reute
1. Reute (Gdeteil Sommersried) 666,8m ü.M. , 2,9 km westl. von Kißlegg.
Mundartl. Reide. Reute von mhd. Riuti, Ruti = Reutung,
Rodung. Reute
ist wie Pfaffenweiler eine Gründung des Klosters St. Gallen, aber jünger
als "Burg ". In Oberschwaben gibt es im ganzen 20 Ortsnamen
Reute.
Zu den alphabetisch aufgelisteten
Ortsnamen zeichnete er noch verschiedene Karten (Kißlegg und
Diepoldshofen) mit der Lage der Weiler und Orte bis zur Darstellung der
Markung um 1200.
Sagen
Aus der Seele des Volkes, von Geistern, Hexen und grausamen Räubern, erzählt
hier Paul Moser und ergänzt damit die volkskundliche Forschungsarbeit. 13
davon wurden 1974 im Heimatbuch, "Kißlegg, Bild einer
Marktgemeinde", veröffentlicht. Erstaunlich grausam dabei die
Sage vom "Räuber und die zwölf Müllerstöchter":
"... Wenn der unheimliche Kerl ein Mädchen entführt hatte, dann
setzte er sich unter eine himmelhohe Tanne und begann, einen Strick aus
Weidenruten zu drehen. Das arme Ding mußte ihn derweil lausen. Der Räuber
hielt seinen Kopf ganz ruhig und erzählte seltsame Geschichten. So trieb
er es auch, als er die zwölfte Müllerstochter zu der Tanne gebracht
hatte. Da fiel ein Blutstropfen aus den Ästen auf die Hand des Mädchens
herab. Es schaute hinauf und sah mit vor Schrecken geweiteten Augen seine
elf Schwestern an Weidenstricken in dem Baume hängen."16
Allgäuer Kost
Weiter ließ sich Paul Moser
bei seinen Hausbesuchen von den Allgäuer Köchinnen erzählen, was "Leib
und Seele zusammenhält". Von einem dieser kräftigen und süßen
Gerichte, die er mit all ihren Besonderheiten aufzeichnet vom "Häberle
Mus" über die "Backerbsle- Supp", "g'röste
Bodabiere" oder "Krautkrapfa", erzählen
auch zwei Lieder aus seiner Sammlung:
Kässpätzle,
Kässpätzle,
Kässpätzle send halt guat,
wenn ma drzua sechs Oier nemmt,
ond s'Schmalz it spara tuat.17
|
Paul Moser beim Kartenspiel
|
Dampfnudla en da Zwetschgabrüeh oder mit Kraut,
des ist a rare Kost, do wird neighaut. ... 18
Paul Moser hatte sich während seiner Kriegsjahre auch mit einer
Sammlung der Soldatensprache beschäftigt, was aus dem
Schriftwechsel mit Stuttgart (1942) hervorgeht, und er trug sich
weiterhin mit dem Gedanken, im Allgäu um Kißlegg herum der
Volksmedizin (um1953) nachzuspüren. Aufzeichnungen davon sind
allerdings nicht aufzufinden. |
Paul Moser als Schriftsteller
Neben den wissenschaftlichen Aufzeichnungen aus den vielen Bereichen der
Volkskunde lieferte Moser auch verschiedene Beweise seiner Erzählkunst.
So schrieb er in der Zeitschrift "Das schöne Allgäu"19
in einem dichterisch gestalteten Bericht über das tausendjährige Rötsee,
einen Weiler bei Kißlegg:
"Schlanke
Birken mit wehenden Zweigen säumen das Sträßlein, das mit mäßiger
Steigung die Höhe erklimmt. Dann dehnt sich zu beiden Seiten das weißflächige
Rötseer Moos mit Heidekraut und schwellenden Moospolstern, mit dichtgedrängten
Blaubeersträuchlein und seltsamen Riedgewächsen aller Art. Ein Habicht
zieht einsam seine Kreise, und verkrüppelte Kiefern ducken sich vor der
Gewalt des Windes, der über die Hochfläche saust ...."
Dramatisch formt er im gleichen
Bericht die sagenhafte Lebensgeschichte des Eremiten Ratperonius:
"Der
schwärzeste Tag seines Lebens zog herauf. Mit Schimpf und Schande wird
Ratperonius aus der so mühsam aufgebauten Siedlung verjagt. Ein
verlorener Mann in den Augen der Welt, ein Ärgernis für die Frommen, so
verläßt er das Werk seines Lebens. Bei der letzten Biegung des Weges ein
letzter Blick auf die Eremitenkirche. Oh Rötsee! - Leer und ausgebrannt
ist sein Herz. "
Und
heiter wird der "Kurort Kißlegg im Allgäu" in
einer umfangreichen Betrachtung von Paul Moser "angestrahlt"20,
wo er in Briefform erzählt:
"Wir
verweilten längere Zeit interessiert bei den Voranzeigen des modernen Kißlegger
Kinos. Gleich daneben fließt eine Alkoholquelle, die von den Eingeborenen
den Namen "Schwarzer Adler " erhielt. Auf der linken Seite
sprudelt voller "Kraft" eine 2. Quelle, diesmal eine
Benzinquelle. An dieser Quelle stießen wir auf eine größere Herde
wilder Opels, zahmer Volkswagen und eleganter Mercedes, die dort ihren
Durst löschten. ... "
Und als Abschluss (wohl selbst gedichtet):
Wir, die Herrn von Kiselegge,
Vornen Kies und hinten - lecke,
Holdrio, juhu21
So ließ Moser noch in verschiedenen Zeitungsartikeln von sich hören,
in denen er sein ungeheures Wissen mit seiner schöpferischen Sprache
verbinden konnte.
Wichtige Stationen seines
Lebens
Paul Albert Moser, geboren am 20. Februar 1901,
stammt aus dem schwäbischen Geislingen, der Fünftälerstadt am Rande der
Ostalb, und ist Sohn des Konditormeisters Aquilin Moser und seiner Ehefrau
Paula, geb. Zeller. Nach der Volksschule in Geislingen wechselt er für
drei Jahre in die Realschule. Über das Progymnasium und die
Aspirantenanstalt in Tuttlingen schlägt er die Ausbildung zum
Volksschullehrer ein, bei der er von 1914-1920 die Lehrerseminare in
Rottweil und Schwäbisch Gmünd besucht. Nach seiner 1. Dienstprüfung
wird Paul Moser an verschiedensten Stellen in Württemberg in die Pflicht
genommen: Butsheim, Kr. Spaichingen, Stuttgart, Mengen und Obereschach
(bei Ravensburg). Nach seiner 2. Dienstprüfung in Stuttgart kommt er nach
Weingarten, Aulendorf, Göppingen und Horgen (bei Rottweil, 1929-1933), wo
er seine Volkskunde des Eschachtales zusammenstellt. Neckarsulm und Großengstingen
(bei Reutlingen) sind die weiteren Stationen. Von 1934-36 lehrt er in
Schramberg. Er bleibt zunächst als Lehrer im Kreis Rottweil (Irslingen
und Schömberg), wird dann Amtsverweser in Wurzach und wechselt ins Schul-
und Lehrerwohnhaus nach St Leonhard (damals Gemeinde Hofs bei Leutkirch
1937-38). Am 10. 10.37 stirbt sein Vater.
Spindelwag
(Kr. Biberach) ist für ihn als Lehrer eine weitere Station. Dort rundet
Paul Moser seine Volkskundearbeiten von St. Leonhard und Wurzach ab. 1938
kommt er als ständiger Lehrer nach Kißlegg, wo er am 27.12. 1938
Hermine, geb. Tobias, heiratet. Dienstlich hat er Stellvertretungen in
Waltershofen und Immenried nachzukommen.
Am
3.2.40 stirbt das erste Kind Josef. Am 9.7.41 wird Tochter Maria-Dorothea
geboren.
Mit seiner Frau Hermine
|
Am
13.5.41 muss er zur Wehrmacht, wo er bis Kriegsende als Sanitätsobergefreiter
in Lazaretten in Griechenland, Bulgarien, Serbien, Albanien und
Kroatien seinen Dienst versieht. 1943 fällt sein Bruder in
Russland, 1944 stirbt seine Mutter. Vom Kriegsende erzählt er
selbst in einem Schreiben22:
".. am 8.5.45 in Kroatien von Partisanen 'geschnappt', über
die österr. Grenze entkommen, den Engländern übergeben."
In englischer Gefangenschaft ist er dann bis 1. Mai 1946. Nach der
Gefangenschaft unterrichtet er weiter in Kißlegg. Prof. Dr. Dölker
gratuliert Moser zur Beförderung zum Oberlehrer23,
die er nach 34 Dienstjahren erreicht. Paul Moser äußert sich
wieder im Briefwechsel mit Stuttgart: "Habe ich Ihnen
geschrieben, daß ich 1 1/2 Jahre |
schwer
krank war u. a. 3 mal einen Kollaps hatte? Nächstes Jahr, Ende März,
lasse ich mich pensionieren."24
Paul Moser darf dann erst 1966 in den Ruhestand. Er stirbt am
18. Oktober 1970 in Kißlegg. |
Enttäuschungen
Es ist schon zu fragen, warum es von einem solch bedeutenden Sammlerwerk
bis heute keine Veröffentlichung gibt. Lag es daran, dass Paul Moser
von seiner Forschungsarbeit in der Öffentlichkeit um ihn herum kaum
etwas merken ließ? Er selbst galt als ein zurückhaltender, ruhiger
Mensch, der wenig von sich sprach. Ein Schüler aus seiner Zeit in
Spindelwag erzählt von ihm als Besonderheit, dass sie viele Lieder bei
ihm gelernt hätten und er nie geschlagen habe.25
Allerdings geht aus seinem Schriftwechsel mit der Landesstelle für
Volkskunde in Stuttgart hervor, dass ihm sehr wohl daran gelegen haben
muss, aus seinen Arbeiten zu veröffentlichen. Schon 1936 hat ihm wohl
August Lämmle eine Publikation in Aussicht gestellt, und seine Anfragen
kreisen später immer wieder um diesen Punkt: "Aus meiner
Volkskunde Kißlegg werde ich nach dem Kriege unverzüglich in Buchform
veröffentlichen. Ebenso aus meinen anderen Arbeiten. "26
Dazu bemerkt Dölker 1947: "Gerade in einem Ihrer letzten Briefe
hierher sprachen Sie von Veröffentlichung nach dem Krieg. Dazu wird ja
leider im Augenblick die Zeit wenig günstig sein. Aber vielleicht haben
Sie doch schon Wege gefunden,
auf denen Sie zum Ziel kommen könnten."27
1950 betont Moser wieder: "Und darf ich Ihnen nochmals sagen, daß
es ein Herzenswunsch von mir ist, diese (Volkskinderspiele) in der Reihe
'Schwäbische Volkskunde' aufgenommen zu sehen! ... Auf die Dauer wirkt
es doch recht deprimierend, den Ertrag so vieler Mühen einem hierfür
interessierten Leserkreis nicht vorlegen zu können. " 1953:
"Kann die Sammlung immer noch nicht ... Aufnahme finden?"-
"Gartenarbeit und Volkskunde, Volkskunde und Gartenarbeit. Beides
sehr interessant, reich an Enttäuschungen und wenig lohnend".28
Andere Wege findet Moser nicht. Seine Verbitterung ist zu spüren:
"Ich habe dem Gemeindeoberhaupt den Vorschlag gemacht, für 2 Bücher
die Schreibkosten u. die Einbindekosten zu übernehmen (1 ExempL f d.
Gde, das andere für mich bestimmt). Da ihm die Schreibkosten zu hoch
erschienen, schlug ich vor, die Schreibarbeit einer Schreibkraft des
Rathauses zu übertragen. Ursprünglich wurde von mir verlangt, der
Preis pro Buch dürfe 10 M. nicht überschreiten. Ist das nicht ein überwältigendes
Interesse für eine volkskundliche Arbeit, die mich 2-3 Jahre intensiv
beschäftigte? .... Sie werden verstehen, daß man bei derartigen
Schwierigkeiten u. Enttäuschungen die Lust am Weiterarbeiten
verliert..."29
Paul
Moser bietet seine Aufzeichnungen noch der Universität Tübingen30
an, was Dölker nicht für sinnvoll ansieht. Aber auch aus der Übernahme
durch die Landesstelle, bei der 350.- bis 500.- DM in Aussicht gestellt
wurden, wird nichts.
Im bereits zitierten Brief31,
in dem Moser von seiner Krankheit schreibt, resigniert er schließlich: "Meine
VK (Volkskunde Kißlegg) ist übrigens abgeschlossen bis auf die
Flurnamen, die ich bei dem Riesenumfang der Gemarkung aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr bearbeiten kann. Nun, was ich neben meiner beruflichen
Tätigkeit in meiner freien Zeit an volkskundlichen Überlieferungen in
verschieden Landesteilen Württembergs gesammelt, bearbeitet und
aufgezeichnet habe in etwa 3 Jahrzehnten, das ist geschehen."
Gedanken
zum Lebenswerk von Paul Moser
Eines seiner aufgezeichneten Lieder trifft vielleicht sogar das eigene
Schicksal. Es erzählt von dem tragischen Fall des Schneiders von Ulm, der
mit seinen Forschungen und Experimenten fast 100 Jahre seiner Zeit voraus
gewesen war
2.
Flügel macht er sich aus Federn, band sie auf dem Rücken fest,
/:wollt vom Münsterturrn rabfliegen wie ein Vogel, wie ein Vogel aus
dem Nest.:/
3. Drunten saß viel Volk beisammen, droben stand er auf dem Turm.
/:Plötzlich fängt er an zu fliegen schnurstracks in den, schnurstracks
in den Donaustrom. :/
4. Schuster, bleib bei deinem Leisten, heißt ein altes Sprüchelein.
/:Schneider, lasse du das Fliegen, bleib bei deiner, bleib bei deiner
Schere fein.:/
(Samml.
Paul Moser - Haldenhaus b. Rot a.d. Rot, Josef Föhr, 1938 Melodie 1939,
Original in B-Dur, DVA Nr.158273 (St 9517)
Paul
Mosers wissenschaftliche Leistung ist unbestritten. Aber der Krieg hatte
sein Lebenswerk durchschnitten. Denn in den folgenden Jahren hatte der
wirtschaftliche Aufbau des Ortes und des Landes einen anderen
Stellenwert als die kulturellen, ideellen Werte, die von ihm vertreten
wurden. Schließlich war durch den letzten Krieg ebenfalls deutlich
geworden, wie weit der Missbrauch einer "Blut und
Boden"-Ideologie durch die Politik führen kann.32
Paul Moser hatte außerdem mit seiner zurückhaltenden Art keine Persönlichkeit
der Medien oder der Politik hinter sich gebracht und auch die besonderen
Voraussetzungen für seine Arbeit während des Dritten Reiches nicht für
sich persönlich genutzt. Zwar brach die hohe Einschätzung heimatkundlicher
Werte nach dem Kriege nicht sofort ab, doch waren in Baden-Württemberg
die Prioritäten in den 60er und 70er Jahren kulturell anders gesetzt, während
in unseren Nachbarländern Vorarlberg, Schweiz und Bayern kein
derartiger Bruch mit der Tradition festzustellen war.
Erst
in den 80er Jahren sind auch in unserem Lande Bestrebungen festzustellen,
welche die Bedeutung regionaler Kultur wieder ins Bewusstsein rücken.
Heimatvereine wurden gegründet. Kleine Musikgruppen lassen Überliefertes
wieder erklingen. Seit 1990 wird die regionale Zeitschrift "Im
Oberland" des Landkreises Ravensburg herausgegeben.
Überörtlich
fühlt sich seit 1993 ebenso die "Arbeitsgemeinschaft württembergisches
Allgäu" für die Erhaltung und Pflege der tradierten Kultur
zuständig.
1996 formierte sich die neue "Gesellschaft Oberschwaben"
mit ähnlichen, regional aber weiterreichenden Zielen. Es scheint, dass
hier Möglichkeiten gesucht werden, in einer sich immer stärkeren
Globalisierung der Wirtschaft und in der Vergrößerung der politischen
Einheiten die Identität nicht zu verlieren. Paul Mosers ungeheure
Lebensarbeit könnte uns dabei helfen nicht nur von der Fülle der
Materialien her, sondern auch durch den dahinterliegenden Grundgedanken
einer ganzheitlichen Betrachtungsweise unserer Umgebung in Raum und Zeit,
die damit zur Heimat werden kann.
|
Das Grab in Kißlegg |
von
Wolfram Benz (1997, Bilder später ergänzt)
Anmerkungen
1 Schwäbische Volkslieder, G, Reimer, Berlin, 1855; Reprint J. Schweier,
Kirchheim, 1977-, Meier war Professor für morgenländische Sprachen in Tübingen
2 Schwäbische Volkslieder, Nachdruck Georg Olms Verlag, Hildesheim, 1974
3 Seemann, Erich: Die Volkslieder der Schwaben, aus dem Munde des Volkes
aufgezeichnet, Silberburg, Stuttgart, 1929; Seemann wurde später als
Doktor und Professor Leiter des Deutschen Volksliedarchivs in Freiburg.
4 Lämmle erhielt später die Leitung der Abteilung Volkstum im Landesamt
für Denkmalpflege in Stuttgart (Rücktritt 1937).
5 Die Volkslieder in Schwaben, Silberburg GmbH Stuttgart, 1924 (101
Lieder) Württembergische Volkslieder, 19. Heft mit Unterstützung des
deutschen Volksliedarchivs, Eugen Salzer, Heilbronn, 1929 (60 Lieder)
6 im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg (DVA) und in der Landesstelle für
Volkskunde in Stuttgart
7 Schriftstück im DVA
8 Eine wissenschaftliche Einordnung seiner Liedsammlung in Zusammenarbeit
mit dem Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg ist vorgesehen.
9 aufbewahrt im Sitzungssaal von Hofs/Leutkirch
10 Die ungeheure Schreibarbeit ohne Aufzeichnung auf ein Magnetband oder
die Bearbeitung durch ein Computer-Schreib- oder Notenprogramm ist heute
kaum mehr vorstellbar.
11 geb. 25.10.1899 in Oberdigisheim am Albrand, Vater ab 1901 Stadtarzt in
Isny/Allgäu, nach dem Studium 1928 Mitarbeiter im DVA in Freiburg bis
1937, Leiter des Staatl. Instituts für Musikforschung in Berlin bis 1945,
Musikforschung in Südtirol, 1950-52 im Allgäu; 1969
"Wolfgang-Amadeus-Preis" in Innsbruck, gestorben am 5.12. 1979
in Hauset/Belgien
12 bei 88 Liedern der Sammlung Paul Moser
13 Quellmalz, Alfred: Volkslied und Volkstanz im Allgäu, in Schwäbische
Heimat 4, 1953
14 So konnte ich den in der "Volkskunde von St. Leonhard"
genannten, am 23.6.2002 verstorbenen 92jährigen Hans Kreuzer 1997 noch
ausfindig machen, der aus seinem Liederheft von 1929 bis um 1940 von 113
Liedern über 60 Melodien noch kannte. Archiv-Nr. MC Ar 22 und BL Ar 85
15 Brief an die Landesstelle in Stuttgart, 1947
16 Die Gebrüder Grimm hätten sicher auch Freude an seiner fesselnden
Sprache bei der Wiedergabe gehabt.
17 Volkskunde Kißlegg S. 445
18 Volkskunde Kißlegg S.348
19 13. Jg. 1950
20 Schwäbische Zeitung, 24. Nov. 1955
21 Alle hier zitierten Quellen zu Kißlegg befinden sich dort im
Gemeindearchiv.
22 an die Landesstelle für Volkskunde für Volkskunde in Stuttgart,
7.10.1947
23 Dölker war damals Leiter der Landesstelle in Stuttgart, Brief vom
6.9.1954
24 an die Landesstelle in Stuttgart, 27, 12.55
25 August Willburger aus Hirschbrunn/Spindelwag, heute Aichstetten
26 Postkarte aus der Kriegszeit an die Landesstelle, 22.4.1942
27 als Leiter der Landesstelle
28 Brief vom 6.10.53
29 Brief vom 17.10.1954
30 Prof. Dr. Hugo Moser, der bedeutende Liedsammler im schwäbisch
besiedelten Gebiet um Sathmar in Rumänien
31 27.12.1955
32 Wenn Lehrer Jonas Köpf in Suppingen die Möglichkeit gehabt hatte, von
seinen Aufzeichnungen noch ein Liederbuch herauszugeben, so lag das in
diesem Fall daran, dass er noch vor Kriegsende das Manuskript des
Liederbuches fertig hatte. Rechtsfragen nur verzögerten den Druck des
Liederbuches bis 1953. (s. Wager, Wulf: Das Suppinger Liederbuch,
in: Volksmusikpflege in Baden-Württemberg, Karlsruhe, 1996)
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